Heißer als die Sonne: Neutralteilchen-Heizung an ASDEX Upgrade erweitert

Neuartige Ionenquelle entwickelt / weltweit erstmalig Hochfrequenz-Plasmaquellen im Einsatz

5. Februar 1998
Am Fusionsexperiment ASDEX Upgrade im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching ging kürzlich die zweite Stufe der Plasmaheizung mit Neutralteilchen in Betrieb. Zusammen mit den bereits vorhandenen Heizapparaturen stehen damit bis zu 27 Megawatt für die Heizung des Plasmas zur Verfügung. In ersten Experimenten wurde - bei mittleren Plasmadichten - bereits eine Plasmatemperatur von 60 Mio Grad erreicht, bei niedrigen Plasmadichten sogar 100 Mio Grad - das vier- bzw. siebenfache der Sonnentemperatur. Mit der aufgestockten Heizung kann die Anlage nun Plasmen erzeugen, die kraftwerksähnliche Bedingungen am Plasmarand simulieren.

Ziel der Fusionsforschung ist es, die Energieproduktion der Sonne auf der Erde nachzuvollziehen: Ein Fusionskraftwerk soll Energie aus der Verschmelzung von Atomkernen gewinnen. Brennstoff ist ein dünnes ionisiertes Gas, ein "Plasma" aus den Wasserstoffsorten Deuterium und Tritium. Zum Zünden des Fusionsfeuers muß das Plasma in Magnetfeldern eingeschlossen und auf Temperaturen über 100 Millionen Grad aufgeheizt werden. Die Neutralteilchen-Heizung ist ein leistungsfähiges Verfahren zum Erhitzen des Plasmas: Schnelle Wasserstoffatome werden in das Plasma eingeschossen und dort eingefangen. Beim Zusammenstoßen mit den Plasmateilchen geben sie ihre Energie weiter - die Plasmatemperatur steigt.

Nach diesem bewährten Verfahren arbeitet bereits seit mehreren Jahren ein Neutralteilchen-Injektor an ASDEX Upgrade. Zusammen mit den Hochfrequenz-Heizungen waren damit an ASDEX Upgrade bisher insgesamt 16 Megawatt Heizleistung verfügbar. Wesentliche Fragestellungen verlangen jedoch höhere Heizleistung. Erst mit dem jetzt in Betrieb gegangenen zweiten Injektor und seiner Leistung von 7 bis 10 Megawatt kommen die Energieflüße durch den Plasmarand in eine Größenordnung, die vergleichbar mit den Verhältnissen in dem geplanten ITER (Internationaler Thermonuklearer Testreaktor) wird. Der Experimentalreaktor ITER, der gegenwärtig in weltweiter Zusammenarbeit geplant wird, soll erstmals ein gezündetes Plasma erzeugen.

Technische Weiterentwicklung
Eine wesentliche technische Verbesserung des zweiten Neutralteilchen-Injektors gegenüber seinem Vorgänger ist eine neue, ITER-relevante Technologie für die Ionenquellen. Diese Ionenquellen sind das Herzstück der Heizapparatur: Um Wasserstoffatome beschleunigen zu können, müssen sie zunächst als geladene Teilchen - als Ionen - für die elektrischen Kräfte "greifbar" werden. Dies geschieht in der Ionenquelle: In der mit neutralem Wasserstoffgas gefüllten Kammer trennt ein elektrischer Kreisstrom, der von einem eingespeisten Hochfrequenzfeld induziert wird, die Atome von einem Teil ihrer Elektronen. Es entsteht ein kaltes Wasserstoff-Plasma, aus dem die positiv geladenen Wasserstoff-Ionen abgesaugt werden.

Die in der Plasmaquelle erzeugten Wasserstoffionen werden anschließend durch drei hintereinanderliegende Elektroden beschleunigt. Vor dem Einschießen in das Plasma muß der Ionenstrahl wieder neutralisiert werden, damit die schnellen Ionen nicht durch das Magnetfeld des Plasmakäfigs abgelenkt werden. Dazu durchlaufen die Ionen einen Gasvorhang, wo sie ihre Ladung abgeben und nun als schnelle neutrale Teilchen weiterfliegen. Zuvor muß jedoch der beträchtliche Strom an kaltem Neutralgas aus dem Neutralisator entfernt werden. Großflächige Titan-Getterpumpen, ebenfalls eine IPP-Entwicklung, binden das Gas, das sonst die Dichte, Temperatur und Reinheit des Plasmas unerwünscht verändern würde. Übrig bleiben schließlich die neutralisierten Teilchen, die mit hoher Geschwindigkeit von über 3000 Kilometern pro Sekunde in 10 Sekunden langen Pulsen durch ein Ventil in das Plasma schießen. Dort werden sie im Magnetfeld eingefangen, wo sie über Stöße ihre Energie an die Plasmateilchen abgeben.

Untersuchungen für ITER
Mit der jetzt verfügbaren Heizleistung der beiden Neutralteilchen-Injektoren von maximal 20 Megawatt kann ASDEX Upgrade - zusammen mit den bereits installierten 7 Megawatt Hochfrequenzheizung - nun ausreichend heiße und dichte Plasmen erzeugen. Damit kann die Anlage eines der wesentlichen Probleme der Fusionsforschung studieren: die Wechselwirkung zwischen dem heißen Plasma und den umgebenden Wänden. In einem späteren Fusionskraftwerk darf nämlich weder der heiße Brennstoff die Wand der Plasmakammer beschädigen noch umgekehrt das Plasma durch abgelöstes Wandmaterial verunreinigt oder verdünnt werden. Eine der Aufgabe von ASDEX Upgrade ist es, diesen Problemkreis unter kraftwerksähnlichen Bedingungen zu untersuchen und Lösungen zu finden. Weitere Untersuchungsschwerpunkte sind die Einschlußeigenschaften sowie der Einfluß des Plasmarandes auf das Verhalten des Plasmazentrums und die Betriebsgrenzen der Maschine.

Dazu wurde die Anlage so geplant, daß wesentliche Plasmaeigenschaften - wie der Plasmadruck, die Plasmadichte und die Belastung der Wände - den Verhältnissen in einem späteren Fusionskraftwerk angepaßt sind. Insbesondere soll durch genügend hohe Heizleistung dafür gesorgt werden, daß die Energieflüsse durch die Randschicht des Plasmas auf die Wände denen im Fusionskraftwerk möglichst nahe kommen. Von geringerer Bedeutung ist hierfür die erreichbare Temperatur im Plasmazentrum, die bei ASDEX Upgrade mit jetzt 100 Millionen Grad unter den im Europäischen Gemeinschaftsexperiment JET oder den in Japan und den USA erreichten Werten von 300 bis 400 Millionen Grad liegt.

Ausschlaggebend sind stattdessen der Plasmadruck und die Verhältnisse am Plasmarand. Letztere werden beschrieben durch das Verhältnis von Heizleistung zum Radius des Plasmaringes. Dieser Wert, der die "Kraftwerksähnlichkeit" der Randschicht beschreibt, liegt bei ASDEX Upgrade jetzt doppelt so hoch wie bei JET und nur noch einen Faktor 3 unter dem Wert von ITER. Auch die wichtige Obergrenze für den Plasmadruck (im Verhältnis zum Druck des Magnetfelds) kann nun bei höherem, ITER-relevanten Magnetfeld erreicht und studiert werden. Unter den Experimenten des Europäischen Fusionsprogrammes ist ASDEX Upgrade daher besonders geeignet, die Physik von Plasma-Zentrum und Randschicht für ITER zu untersuchen.

Isabella Milch

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