Das IPP kommentiert: Anhörung zur Fusionsforschung

Stand der Fusionsforschung, Chancen, Risiken und Kosten

20. April 2001
Am 28. März 2001 fand vor dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages in Berlin eine Anhörung zur Fusionsforschung statt. Geladene Experten, darunter Prof. Dr. Alexander Bradshaw, der wissenschaftliche Direktor des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP), beantworteten Fragen zu Stand und absehbarer Entwicklung der Fusionsforschung, zu Chancen und Risiken der Fusion für Mensch und Umwelt, zu den Kosten der Forschung und zum politischen Handlungsbedarf sowie zur zukünftigen Rolle der Kernfusion in der Energieversorgung.

Zu einigen Fragen in der Diskussion soll hier nochmals gesondert Stellung genommen werden:

1. Da mit kommerziellen Fusionskraftwerken erst nach dem Jahr 2050 zu rechnen ist, kommt die Fusion für die Lösung der globalen Energieprobleme zu spät.
Der Weltenergieverbrauch wird heute zu 90 Prozent aus fossilen Quellen gedeckt. Der Anteil Erneuerbarer Energien kann selbst bei energischer Förderung weltweit nur langsam zunehmen. Auch im Jahr 2050 werden daher noch erhebliche Kapazitäten an fossilen Kraftwerken bestehen. Die Internationale Energieagentur erwartet in den kommenden 20 Jahren sogar eine Zunahme der fossilen Energieerzeugung. Um die Jahrhundertmitte könnten Fusionskraftwerke ohne Veränderung des Stromsystems die veralteten fossilen Anlagen ersetzen - zumal dann wegen der immer schwerer zugänglich werdenden Öl- und Gasreserven ohnehin große Änderungen in der Energieversorgung erforderlich sind.
Im übrigen sollte nach jetzigen Plänen das erste stromerzeugende Demonstrations-Fusionskraftwerk bereits ca. 2035 in Betrieb gehen.

2. Fusionsreaktoren enthalten radiotoxische Stoffe.
Dennoch wird ein Fusionskraftwerk günstige Sicherheits- und Umweltweigenschaften besitzen: Fusionskraftwerke werden sich durch geringen Ressourcenverbrauch auszeichnen sowie nahezu unbegrenzte, überall zugängliche Brennstoffvorräte. Konflikte wie um das Erdöl wird es nicht geben. Es entstehen keine Gase, die das Klima schädigen oder andere toxische Wirkungen entfalten könnten.
Der Betrieb eines Fusionskraftwerks kann aus prinzipiellen physikalischen Gründen nicht zu einem Unfall mit katastrophalen Folgen führen. Auch werden nachfolgende Generationen durch die Abfälle der Fusion nicht wesentlich belastet. Die Radiotoxizität des Fusionsabfalls klingt innerhalb weniger Jahrzehnte um viele Größenordnungen ab.

3. Bis zum Jahr 2050 werden alle erneuerbaren Energien Stromgestehungskosten aufweisen, die günstiger sind als Strom aus Kernfusion.
Selbst wenn man als langfristiges energiepolitisches Ziel die komplette Umstellung auf Erneuerbare Energien anstrebt, wäre es fahrlässig, aus der Erforschung aussichtsreicher Technologien wie der Fusion auszusteigen, noch bevor die Erneuerbaren Energien ihre Leistungsfähigkeit weltweit und in großem Maßstab bewiesen haben.
Wirtschaftlichkeit kann sich immer nur in einem bestimmten Ordnungsrahmen definieren. In Zukunft werden die externen Kosten wohl zunehmend in die direkten Kosten einfließen, sei es über Steuern oder andere ordnungspolitische Werkzeuge wie Umweltstandards. In einem solchen Ordnungsrahmen findet die Fusion sehr wohl ihren wirtschaftlichen Platz, wie in einer Studie des holländischen Energieinstitutes ECN gezeigt wurde. Obwohl hier große Kostenreduktionen zum Beispiel bei der Photovoltaik angenommen wurden, konnte die Fusion erhebliche Marktanteile gewinnen. Auch andere Studien in Japan und den USA kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

4. Eine Studie der EU macht deutlich, dass im Jahre 2050 Europa vollständig mit erneuerbaren Energien versorgt werden kann. Wozu also die Fusion weiterverfolgen?
Die Ergebnisse der zitierten Europäischen LTI-Studie setzen einen erheblich veränderten Lebensstil voraus. Auf diese Weise soll sich die Europäische Energienachfrage bis zum Jahr 2050 um mehr als die Hälfte reduzieren. Dazu fordert die Studie zum Beispiel, dass es 2050 keinen innereuropäischen Flugverkehr mehr gibt und die Höchstgeschwindigkeit bei Zügen auf 200 km/h, bei Autos auf 100 km/h beschränkt sein soll. Eine solche Entwicklung ist zwar theoretisch denkbar, praktisch aber nicht sehr wahrscheinlich. Die Studie geht zudem nicht davon aus, dass in den Haushalten neue Geräte installiert werden könnten. Nicht einmal ein Computer findet sich in der Liste der Gegenstände, die in den Haushalten Energie verbrauchen. Aber gerade die Entwicklung neuer Geräte hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass der Stromverbrauch immer weiter gestiegen ist.
Nur mit derart extremen Annahmen gelingt es in der LTI-Studie, im Jahr 2050 eine drastisch - um 63 Prozent - reduzierte Energienachfrage zu postulieren. Die Latte wird damit für die Erneuerbaren nicht hoch gehängt, zumal die antizipierten Kostensenkungen für Photovoltaik und Solarthermie sehr optimistisch sind. Da man das Eintreten der meisten Voraussetzungen der LTI-Studie für mehr als fraglichlich halten kann, wäre es vermessen, Zukunftsplanungen allein auf diese Studie zu stützen.

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