Wendelstein 7-X: Zweite Experimentierrunde hat begonnen

Erste Plasmen in aufgerüsteter Anlage / „Jetzt wird es spannend“, sagt Projektleiter Thomas Klinger

11. September 2017

Die Plasmaexperimente an der Fusionsanlage Wendelstein 7-X im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald haben nach 15 Monaten Umbaupause jetzt wieder begonnen. Die zusätzliche Ausrüstung hat die Anlage fit für höhere Heizleistung und längere Pulse gemacht. Damit werden nun Experimente möglich, in denen das Wendelstein 7-X zugrundeliegende optimierte Konzept geprüft werden kann. Wendelstein 7-X, die weltweit größte Fusionsanlage vom Typ Stellarator, soll die Kraftwerkseignung dieses Bautyps untersuchen.

Neben neuen Heizungs- und Mess­appa­raturen wurden seit März letzten Jahres, dem planmäßigen Ende der ersten Experimentierphase, über 8000 Wand­kacheln und zehn „Divertor“-Module aus Grafit im Plasmagefäß der Fusionsanlage montiert. Diese Verkleidung soll die Gefäßwände schützen und für die kommenden Experimente höhere Temperaturen sowie zehn Sekunden lange Plasmaentladungen möglich machen.

Eine besondere Funktion erfüllen dabei die zehn Teilstücke des Divertors: In breiten Streifen an der Wand des Plasmagefäßes folgen seine Kacheln genau der verwundenen Kontur des Plasmarandes. So schützen sie speziell diejenigen Wandbereiche, auf die entweichende Teilchen aus dem Rand des Plasmaringes gezielt gelenkt werden. Zusammen mit unerwünschten Verun­reinigungen werden die auftreffenden Teilchen hier neutralisiert und abgepumpt. Der Divertor ist damit ein wichtiges Werkzeug, Reinheit und Dichte des Plasmas zu regeln.

Bereits am kleineren Vorgänger, dem Stellarator Wendelstein 7-AS im IPP in Garching, waren die Ergebnisse der Divertortests ermutigend. Aber erst im deutlich größeren Greifswalder Nachfolger Wendelstein 7-X sind die geometrischen Verhältnisse – insbesondere das Verhältnis von Divertorfläche zu Plasmavolumen – kraftwerksähnlich. „Wir sind deshalb sehr gespannt, nun erstmals untersuchen zu können, ob das Divertorkonzept eines optimierten Stellarators wirklich gut funktioniert“, sagt Projektleiter Professor Thomas Klinger. Diese Tests werden breiten Raum einnehmen: Sorgfältig wird man in vielen Detailuntersuchungen prüfen, wie das Plasma zu führen ist und welche Magnetfeldstrukturen, Heiz- und Nachfüllverfahren am erfolgreichsten sind.

Mit neu hinzugekommenen Messinstrumenten wird man erstmals auch die Turbulenz im Plasma beobachten können: Die dabei entstehenden kleinen Wirbel beeinflussen, wie gut der magnetische Einschluss und die Wärmeisolation des heißen Plasmas gelingt – ein wichtiger Wert für ein späteres Kraftwerk, weil er die Größe der Anlage und damit die Wirtschaftlichkeit bestimmt. „Wir werden zum ersten Mal prüfen können, ob die vielversprechenden Vorhersagen der Theorie für einen vollständig optimierten Stellarator richtig sind. Im Vergleich zu bisherigen Anlagen lässt sie nämlich für Wendelstein 7-X ganz neue, womöglich sogar bessere Verhältnisse erwarten“, so Thomas Klinger.

Da für die Mikrowellen-Heizung des Plasmas inzwischen alle zehn Mikrowellensender einsatzbereit sind, werden nun ein größerer Energiedurchsatz und Plasmen höherer Dichte möglich: Von 4 Megajoule im Jahr 2016 wird man sich jetzt – indem man nach und nach alle Einsatzvarianten der Mikrowellenheizung durchspielen und testen wird – auf eine Energie von 80 Megajoule steigern. Die bisher noch recht niedrige Plasmadichte lässt sich damit auf kraftwerksähnliche Werte mehr als verdoppeln.

Dies hat bedeutende Konsequenzen: Erst bei genügender Dichte des Plasmas können Elektronen und Ionen effektiv Energie austauschen. Zuvor hatte die Mikrowellenheizung fast nur die Elektronen geheizt. Statt 100 Millionen Grad heißer Elektronen und kalter Ionen mit 10 Millionen Grad wie bisher werden in den neuen Plasmen Elektronen und Ionen fast gleiche Temperatur bis zu 70 Millionen Grad besitzen. Damit sollte auch die Wärmeisolation des Plasmas steigen. War sie bislang, bezogen auf die Anlagengröße, nur oberer Durchschnitt, sollte sich nun die Wirkung der Wendelstein 7-X zugrundeliegenden Optimierung zeigen können: „Es wird sehr spannend“, sagt Thomas Klinger.

Hintergrund:

Ziel der Fusionsforschung ist es, ein klima- und umweltfreundliches Kraftwerk zu entwickeln. Ähnlich wie die Sonne soll es aus der Verschmelzung von Atomkernen Energie gewinnen. Weil das Fusionsfeuer erst bei Temperaturen über 100 Millionen Grad zündet, darf der Brennstoff – ein dünnes Wasserstoffplasma – nicht in Kontakt mit kalten Gefäßwänden kommen. Von Magnetfeldern gehalten, schwebt er nahezu berührungsfrei im Inneren einer Vakuumkammer.

Den magnetischen Käfig von Wendelstein 7-X erzeugt ein Ring aus 50 supra­leitenden, etwa 3,5 Meter hohen Magnetspulen. Ihre speziellen Formen sind das Ergebnis ausgefeilter Optimierungsrechnungen. Obwohl Wendelstein 7-X keine Energie erzeugen wird, soll die Anlage beweisen, dass Stellaratoren kraftwerks­tauglich sind. Mit Wendelstein 7-X soll die Qualität des Plasmaeinschlusses in einem Stellarator erstmals das Niveau der konkurrierenden Anlagen vom Typ Tokamak errei­chen.

Dazu sind stufenweise weitere Ausbauten geplant. Zum Beispiel sollen später die Graphit­kacheln des Divertors durch kohlenstofffaserverstärkte Kohlenstoff-Elemente ersetzt werden, die zusätzlich wasser­gekühlt sind. Damit werden in einigen Jahren bis zu 30 Minuten lange Entladungen möglich, in denen überprüft werden kann, ob Wendelstein 7-X auch dauerhaft seine Optimierungs­ziele erfüllt. Damit soll die Anlage das wesentliche Plus der Stellaratoren vorführen, die Fähigkeit zum Dauerbetrieb. 

Isabella Milch

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