Eine Heizung für den Fusionstestreaktor ITER

Sonnentemperaturen im Labor / IPP entwickelt Plasmaheizung per Neutralteilchen-Einschuss

7. Oktober 2005
Eine neuartige Ionenquelle zur Plasmaheizung des internationalen Fusionsreaktors ITER mit energiereichen Neutralteilchen wird zurzeit im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München entwickelt. Sie soll den Fusionsbrennstoff auf mehr als 100 Millionen Grad aufheizen. Das bewährte Heizverfahren an die Anforderungen der Großanlage ITER anzupassen, ist eine beträchtliche physikalisch-technische Herausforderung für das Entwicklungsteam – mit bisher viel versprechenden Ergebnissen.

Ziel der Fusionsforschung ist es, ein Kraftwerk zu entwickeln, das – ähnlich wie die Sonne – aus der Verschmelzung von Atomkernen Energie gewinnt. Die internationale Testanlage ITER (lat. „der Weg“) soll zeigen, dass ein solches Energie lieferndes Fusionsfeuer möglich ist. Dazu muss der Brennstoff – ein dünnes ionisiertes Wasserstoffgas, ein „Plasma“ – berührungsfrei in einem Magnetfeldkäfig eingeschlossen und bis zum Zünden des Fusionsfeuers auf hohe Temperaturen aufgeheizt werden. Ein erfolgreiches Verfahren ist die „Neutralteilchen-Heizung“: Schnelle Wasserstoffatome, die in das Plasma eingeschossen werden, geben beim Zusammenstoßen mit den Plasmateilchen ihre Energie ab. Heutige Anlagen erreichen so auf Knopfdruck ein Mehrfaches der Sonnentemperatur.

Mit ITER kommen neue Anforderungen auf die bewährte Heizung zu: Zum Beispiel werden wesentlich höhere Pulslängen verlangt – eine Stunde, d.h. nahezu Dauerbetrieb, im Vergleich zu typisch zehn Sekunden bei heutigen Experimenten wie etwa bei ASDEX Upgrade im IPP in Garching. Zudem müssen die Teilchen für die Großanlage ITER drei- bis viermal schneller sein als bisher, damit sie tief genug in das Plasma hinein fliegen können.

So funktioniert die Neutralteilchen-Heizung: Um Wasserstoffatome beschleunigen zu können, müssen sie zunächst als geladene Teilchen – als positive oder negative Ionen – für elektrische Kräfte greifbar werden. In einer Plasmaquelle werden deshalb zunächst aus neutralem Wasserstoffgas durch Elektronen-Entzug positiv geladene Wasserstoffionen erzeugt, die anschließend durch hintereinander liegende Elektroden abgesaugt und beschleunigt werden. Vor dem Einschießen in das Plasma muss der Ionenstrahl wieder neutralisiert werden, weil geladene Teilchen durch das Magnetfeld des Plasmakäfigs abgelenkt würden: Dazu durchlaufen die Ionen einen Gasvorhang. Die meisten nehmen hier das fehlende Elektron wieder auf und fliegen als schnelle Neutrale weiter; der geladene Rest wird mit einem magnetischen Ablenksystem aus dem Strahl herausgezogen.

Die für ITER nötige hohe Teilchengeschwindigkeit verlangt nun eine Änderung des Verfahrens: Denn die bisher genutzten positiv geladenen Ionen lassen sich um so schlechter neutralisieren, je schneller sie sind – bei den für ITER gewünschten Geschwindigkeiten von 9000 Kilometern pro Sekunde fast gar nicht mehr. „Für ITER muss man daher zu negativ geladenen Ionen übergehen, die auch bei hohen Geschwindigkeiten gut neutralisierbar sind,“ erklärt Dr. Eckehart Speth, der Leiter des IPP-Bereichs Technologie. Sie lassen sich allerdings wesentlich schwieriger handhaben als positive Ionen: Das zusätzliche Elektron, das für die negative Ladung der Partikel verantwortlich ist, ist nur locker gebunden und entsprechend leicht wieder zu verlieren.

Um die fragilen Objekte für ITER herzustellen, kommen zwei unterschiedliche Methoden in Frage: Einzig das IPP hat Erfahrung mit so genannten Hochfrequenz-Quellen. Diese neuartige Ionenquelle wurde im IPP zusammen mit der Universität Gießen entwickelt und ist seit 1995 an ASDEX Upgrade in Betrieb – allerdings für positive Ionen. Von der Technologieagentur EFDA (European Fusion Development Agreement), die die europäischen ITER-Beiträge koordiniert, erhielt das Institut daher 2002 den Auftrag, die neue Strahlquelle für ITER weiterzuentwickeln. Sie sollte wesentlich robuster und billiger sein sowie – besonders wichtig für ITER – viel weniger Wartung benötigen als die herkömmlichen Bogenquellen, die in Konkurrenz zum IPP in Japan und Frankreich untersucht werden.

Ihren Namen hat die neuartige Quelle von einer Hochfrequenzwelle, die in Wasserstoffgas eingestrahlt wird und dabei einen Teil der Wasserstoffatome ionisiert. Das entstandene Plasma, eine Mischung neutraler Atome, negativer Elektronen und positiver Ionen, strömt in die eigentliche Strahlquelle, auf deren Innenwände und auf eine erste gitterförmige Elektrode. Aus einer einzelnen Elektrodenöffnung gezogen, würde der Ionenstrom nämlich durch die entstehende Raumladung begrenzt. Deshalb werden mehrere 100 Einzelstrahlen aus ebenso vielen Öffnungen einer gemeinsamen Elektrode, einem „Gitter“, herausgezogen. Die fingerdicken Einzelstrahlen verschmelzen anschließend zu einem breiten Gesamtstrahl, dessen Querschnitt bei ITER knapp Türgröße besitzen wird.

Sind die Oberflächen mit geeignetem Material belegt, etwa mit Cäsium, dann können dort von den Plasmateilchen Elektronen aufgenommen werden – es entstehen negative Wasserstoffionen. Nachdem man die komplizierte Dynamik der Cäsium-Verteilung auf den Wänden ergründet hatte, kann es hier mittlerweile kontinuierlich von einem kleinen Ofen als ultradünne, etwa eine Atomlage starke Schicht aufgedampft werden. Die erzeugten negativen Ionen laufen zunächst in die falsche Richtung, zurück ins Plasma. Ionen in der Nähe des Gitters können jedoch – passend geformte Gitteröffnungen vorausgesetzt – aus dem Plasma heraus gelenkt werden. Sie werden anschließend durch das elektrische Feld eines zweiten Gitters erfasst, zum Strahl gebündelt und mit einem dritten Gitter weiter beschleunigt.

Um die unerwünschten, aber ebenfalls herausgezogenen Elektronen loszuwerden, zwingt sie ein Quermagnetfeld vor dem ersten Gitter auf winzige Kreisbahnen und behindert so ihre Bewegung in Flugrichtung der Ionen. Kleine, in das zweite Gitter eingebaute Permanent-Magnete beseitigen die Elektronen dann endgültig. Sie lenken die leichten Teilchen in spezielle Taschen, die viel schwereren Ionen fliegen nahezu unbehindert weiter. Nicht nur dieses magnetische Innenleben macht die Gitter zu technischen Meisterstücken: Hinzu kommt eine ausgefeilte Wasserkühlung, die trotz der hohen Wärmebelastung während der Heizpulse jede einzelne Öffnung auf hundertstel Millimeter relativ zu ihrem Partner im folgenden Gitter in Position hält.

Das Entwicklungsprogramm im IPP läuft parallel an drei Testständen: Am ersten werden bei kleiner Gitterfläche von rund 100 Quadratzentimetern und kurzen Pulslängen unter 10 Sekunden Stromdichte, Elektronenanteil und Gasdruck optimiert. Die Stromdichte der negativen Ionen übertrifft hier bereits die für ITER erforderlichen Werte. Im zweiten Teststand lässt sich die Gitterfläche auf 300 Quadratzentimeter ausdehnen, die Pulslänge auf eine Stunde. Dr. Speth: „Mit den bisherigen Ergebnissen – teilweise Weltrekord – hat die Hochfrequenz-Quelle des IPP bereits gute Chancen, bei ITER zum Zuge zu kommen. Bezüglich Stromdichte, Gasdruck und Elektronenanteil ist sie den konkurrierenden Bogenquellen inzwischen ebenbürtig oder sogar überlegen.“ Für eine endgültige Beurteilung muss – in einer dritten Testanlage, die derzeit aufgebaut wird – die Übertragbarkeit der Technologie auf ITER-Größe gezeigt werden. Die Entscheidung über eine Verwendung bei ITER wird für das kommende Frühjahr erwartet.

Isabella Milch

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