Wie man Antimaterie und Materie gemeinsam einfängt

Die APEX-Kollaboration rund um die Arbeitsgruppe APEX-PAX-EPOS in Garching will Plasmen aus Elektronen und Positronen erforschen.
 

21. November 2023

Dafür hat das Team am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) jetzt ein weltweit einzigartiges Experiment aufgebaut. Sein wichtigster Bestandteil: ein hochtemperatursupraleitender Magnetring, der im Vakuum frei schwebt und damit geladene Teilchen, positive und negative, einfangen kann. Er wird Experimente zu Materie-Antimaterie-Plasmen ermöglichen, die bisher nicht möglich waren.

Einen der schönsten Momente des vergangenen Sommers erlebte Wissenschaftler Alexander Card, als sich ein glänzender Goldring mit einem Durchmesser von 15 Zentimetern von einer Plattform löste. Diese hatte den Ring zuvor mit einer Geschwindigkeit von nur wenigen Millimetern pro Sekunde ins Zentrum einer Vakuumkammer gehoben. Mehr als eine Minute lang schien der Ring dann um Freiheit zu kämpfen. Oben zog ein wachsendes Magnetfeld an ihm. Unten jedoch hielt ihn die Plattform aufgrund der von ihr selbst induzierten Magnetfelder hartnäckig fest. Der Ring zitterte, hob zunächst mehr auf der einen als auf der anderen Seite ab, stellte dabei das eingebaute Levitations-Kontrollsystem auf die Probe, bevor er schließlich völlig frei und stabil schwebte – ein Zustand, der dann dreieinhalb Stunden lang anhielt.

Vier Jahre lang hat Doktorand Alexander Card (Technische Universität München, IPP) auf diesen Moment hingearbeitet – zusammen mit Kollegen vom IPP, THEVA (Hersteller supraleitender Bänder in Ismaning) und Prof. Matthew Stoneking von der Lawrence University in den USA. Im Rahmen seiner Doktorarbeit meisterte er diverse experimentelle Hürden, um diese so genannte schwebende Dipolfalle Wirklichkeit werden zu lassen. „Es gab bereits viel größere Experimente mit schwebenden Dipolen an der Universität Tokio und am MIT, dem Massachusetts Institute of Technology in den USA. Aber wir haben unseren Aufbau so gestaltet, dass er sich in einzigartiger Weise für das Einfangen von Paarplasmen aus Materie und Antimaterie eignet.“

Plasmen mit symmetrischer Massenverteilung

Als Plasma bezeichnen Physiker den vierten Aggregatzustand. Wenn zum Beispiel Wasserstoffgas über eine bestimmte Temperatur hinaus erhitzt wird, entsteht ein Plasma: Die Wasserstoffatome spalten sich dann in geladene Teilchen – also Elektronen und Ionen (bei Wasserstoff sind das Protonen). In einem solchen Plasma sind die Massen sehr asymmetrisch verteilt – ein Proton ist 1836-mal schwerer als ein Elektron. Die in den Kernfusionsexperimenten bei ASDEX Upgrade und Wendelstein 7-X erzeugten Plasmen sind also in dieser Hinsicht extrem asymmetrisch.

„Wir wollen ideale Plasmen untersuchen, in denen die Massen symmetrisch verteilt sind“, erläutert Arbeitsgruppenleiterin Dr. Eve Stenson das Forschungsgebiet ihres Teams. Anders als die meisten Untersuchungen am IPP ist diese Arbeit nicht direkt auf künftige Kernfusionskraftwerke ausgerichtet. „Wir wollen grundlegenden physikalischen Phänomenen auf den Grund gehen, obwohl es immer die Möglichkeit gibt, dass wir auch etwas Nützliches für das Verständnis von Fusionsplasmen entdecken.“ Der Name der Kollaboration beschreibt das Ziel: APEX (A Positron-Electron Experiment), und so wird die schwebende Dipolfalle APEX-LD (LD für Levitated Dipole) genannt. 

Die APEX-Kollaboration umfasst auch die Experimente PAX (Positron Accumulation eXperiment) und EPOS (Electrons and Positrons in an Optimized Stellarator) am IPP, zusätzlich zu damit verbundenen Aktivitäten an deutschen und internationalen Universitäten.  Die Zusammenarbeit wurde von zahlreichen Drittmittelgebern unterstützt (u.a. EU, DFG, Helmholtz-Gemeinschaft, U.S. Department of Energy, Humboldt-Gesellschaft).

Die positiv geladenen Positronen sind die Antiteilchen von Elektronen. Abgesehen von der entgegengesetzten elektrischen Ladung (und verwandten Größen wie dem magnetischen Moment) haben beide exakt die gleichen Eigenschaften. Aus noch unbekannten Gründen ist Antimaterie in unserem Universum jedoch weitaus seltener anzutreffen als Materie. „Wir kennen Materie-Antimaterie-Plasmen hauptsächlich aus der Science-Fiction“, sagt Dr. Stenson. „Es gibt sie aber tatsächlich in astrophysikalischen Zusammenhängen – zum Beispiel in der Nähe von Quasaren, den hellen Zentren von Galaxien.“ Außerdem vermutet man diese Paarplasmen in den Akkretionsscheiben junger Galaxien, den rotierenden Scheiben, die Materie in das Zentrum dieser Sternsysteme transportieren. In einer frühen Phase unseres Universums bildeten solche Plasmen wahrscheinlich den vorherrschenden Zustand der Materie.

Es ist allgemein bekannt, dass sich bei der Vereinigung von Elektronen und Positronen die Antiteilchen innerhalb kürzester Zeit gegenseitig vernichten und ihre Masse in Energie in Form von Gammastrahlen umwandeln. Mit einer geeigneten Falle und geringen Elektronen- und Positronen-Dichten lässt sich jedoch die sofortige Vernichtung aller Teilchen verzögern und ein Plasma aus beiden Teilchenarten im Labor aufrechterhalten und kontrollieren.

Leuchtende Elektronenbahnen

Genau diesem Zweck dient die schwebende Dipolfalle am IPP. Elektronen und Positronen, die man in die Vakuumkammer einführt, werden durch die Lorentz-Kraft gezwungen kreisförmigen und spiralförmigen Bahnen um die Magnetfeldlinien zu folgen, die den schwebenden supraleitenden Ring umgeben. Da die elektrischen Ladungen der beiden Teilchenarten entgegengesetzt sind, driften sie auch in entgegengesetzten Richtungen um den Ring, d.h. entweder im oder gegen den Uhrzeigersinn (von oben betrachtet).

Das Plasma im Vakuumgefäß wird eine relativ geringe Dichte haben, damit die Antiteilchen sich nur vergleichsweise selten begegnen und auslöschen können. Dennoch rechnet die APEX-Kollaboration mit etwa 100 Millionen solcher Annihilationen pro Sekunde im Experiment. Mitglieder des IPP-Teams haben Diagnosemethoden entwickelt, um durch die Analyse der freigesetzten Gammastrahlung Erkenntnisse über die Eigenschaften des Plasmas zu gewinnen.

Zumindest mit Elektronen kann der Doktorand Alexander Card die Fähigkeiten seiner Falle bereits demonstrieren. Ein Elektronenemitter mit einstellbarer Stromstärke und Spannung ist Teil der Apparatur. Den spiralförmigen Weg der Elektronen kann man sogar mit bloßem Auge als blau leuchtende Spuren verfolgen, wenn man durch eines der Bullaugen in der Vakuumkammer schaut. Die Elektronen regen zusätzlich eingeführtes Helium zum Leuchten an.

„Um auch mit Paarplasmen experimentieren zu können, werden wir die Apparatur im nächsten Jahr an die Forschungsneutronenquelle FRM II verlegen, die auch Positronen erzeugt“, erklärt Dr. Stenson. FRM II befindet sich in unmittelbarer Nähe des IPP auf dem Garchinger Forschungscampus und beherbergt die von TUM-Professor Christoph Hugenschmidt geleitete Neutronen-induzierte Positronenquelle MUniCh (NEPOMUC), die weltweit intensivste „kalte“ (d.h. Niedertemperatur-) Positronenquelle. Der FRM II befindet sich derzeit in einer mehrjährigen Wartungsphase.

 

Die Funktionsweise der schwebenden Dipol-Falle

Die schwebende Dipolfalle ist einsatzbereit. Alexander Card hat das Experiment sogar so programmiert und perfektioniert, dass sich der schwebende Magnetring auf Knopfdruck in Position bewegt. Die Automatik verbirgt das Expertenwissen, das entwickelt werden musste, um das präzise Zusammenspiel von drei elektromagnetischen Spulen zu koordinieren.

Die C-Spule (C für „Charging“; Durchmesser 24 Zentimeter) ist auf dem Boden der Vakuumkammer montiert. Ihre 410 Windungen sind aus hochtemperatursupraleitendem Material gewickelt. Ab einer Maximaltemperatur von minus 225 Grad Celsius fließt in ihr der Strom verlustfrei, d.h. ohne elektrischen Widerstand. Um dies zu erreichen, wird der Magnet durch einen Kühlkopf gekühlt (er beruht auf einem Kühlsystem auf der Basis von Helium-Hochdruckgas). Die Funktion der C-Spule: Sie lädt die F-Spule – den goldfarbenen Ring, der später schweben wird – durch elektromagnetische Induktion auf.

Die F-Spule (F für „Floating“), besteht ebenfalls aus hochtemperatursupraleitenden Wicklungen – es sind 132. Durch Induktion fließt in dem auf minus 250 Grad Celsius gekühlten Ring verlustfrei ein Strom, der wiederum ein Magnetfeld in Dipolform erzeugt. Für diese Aufladung liegt die F-Spule zu Beginn des Versuchsablaufs in der C-Spule, bevor sie mit einer Hebebühne in die Mitte des 162-Liter-Vakuumgefäßes gebracht wird.

Hier kommt die L-Spule (L für „Lifting“) ins Spiel, die sich außerhalb des Vakuumgefäßes befindet und aus einem einfachen Kupferleiter besteht. Sie zieht den Goldring gegen die Schwerkraft nach oben und hält ihn dann präzise in seiner Schwebeposition. Drei Laser, die von oben durch Fenster in der Vakuumkammer auf den Ring gerichtet sind, sorgen dafür, dass die Abweichung auf maximal 0,02 Millimeter begrenzt wird. Detektoren können winzige Abweichungen vom reflektierten Laserstrahl messen und an das Kontrollsystem des Experiments melden. Dieses variiert dann das Feld der L-Spule entsprechend, so dass die Position immer stabil bleibt.

Mit der Zeit steigt die Temperatur im Schwebering an, so dass sich in den Lötstellen zwischen den Enden des Hochtemperatursupraleiters ein Widerstand aufbaut. Der Strom in der F-Spule nimmt allmählich ab, und um sie an Ort und Stelle zu halten, muss der Strom in der L-Spule stetig ansteigen. Überschreitet der Strom in der L-Spule einen bestimmten Schwellenwert (ab dem eine Überhitzung der L-Spule droht), wird das Experiment beendet – bei den bisherigen Versuchen war dies nach dreieinhalb Stunden der Fall. Der Strom in der L-Spule wird abgesenkt, während die Hebebühne den Ringmagneten wieder abholt. Der Ladezyklus beginnt von vorne.

Alex Card hat die gesamte Prozedur auf Video festgehalten, um die Raffinesse des Experiments zu dokumentieren. „Wir freuen uns sehr, dass wir diesen Meilenstein erreicht haben, nachdem wir viele technische Herausforderungen und andere Hindernisse überwunden haben“, sagt Arbeitsgruppenleiterin Dr. Stenson. Das Projekt wurde durch die Corona-Pandemie und durch daraus verursachte Lieferketten-Probleme erheblich beeinträchtigt. Bei der Entwicklung neuer Technologien gab es diverse Unsicherheitsfaktoren. „Vor etwas mehr als einem Jahr wussten wir zum Beispiel noch nicht, wie gut die Induktion funktionieren würde, wie schnell der induzierte Strom abklingen würde, wie ein plötzlicher Zusammenbruch der Supraleitung in der F-Spule – ein Quench – aussehen würde und wie lange oder wie stabil wir sie schweben lassen können. Jetzt freuen wir uns auf den Beginn der wissenschaftlichen Experimente.“

Frank Fleschner

Zur Redakteursansicht