Entwicklung von Bolometern für ITER
Forschungsbericht (importiert) 2014 - Max-Planck-Institut für Plasmaphysik
Die zu entwickelnden Bolometer sollen die vom ITER-Plasma abgegebene Wärme- und Lichtstrahlung vom Infrarot- bis in den Röntgenbereich registrieren und ihren Entstehungsort im Plasma bestimmen [1]. Das Messprinzip eines Bolometers: Ein winziges Metallplättchen von 1,5 mm mal 4 mm Fläche absorbiert die längs einer engen Sichtlinie aus dem Plasma kommende Strahlung und erwärmt sich dabei. Der elektrische Widerstand eines darunterliegenden Leiters ändert sich je nach Temperatur und ist daher ein direktes Maß für die Strahlungsleistung. Mittels Messdaten von sehr vielen unterschiedlich orientierten Sichtlinien und unter Zuhilfenahme von tomographischen Rekonstruktionsverfahren lässt sich die Strahlung räumlichen Punkten im Plasma zuordnen. So erfährt man, welche Stelle im Plasma welche Leistung ausgesandt hat.
Miniaturisierte Detektoren
Dieses am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) entwickelte und patentierte Konzept miniaturisierter Metallwiderstands-Bolometerdetektoren wird seit vielen Jahren an den meisten Fusionsforschungsanlagen weltweit erfolgreich eingesetzt. Für die Großanlage ITER, die erstmals ein Plasma erzeugen soll, das mehr Leistung erzeugt, als zu seiner Herstellung benötigt wird, sind jedoch neue Anforderungen zu erfüllen: Anders als bisher müssen die Detektoren einem starken Fluss von Fusionsneutronen standhalten und auch bei hohen Temperaturen über 300 Grad Celsius zuverlässig arbeiten können. Eine vierjährige Projektphase, die mit nationalen Mitteln gefördert wurde, ermöglichte der ITER-Diagnostikgruppe am IPP entscheidende Vorarbeiten zur Entwicklung dieser Diagnostik.
Angelehnt an den Entwurf der ersten im IPP entwickelten Detektoren konnten am Institut für Mikrotechnik Mainz mit Verfahren der Dünnschichttechnologie bereits erste Bolometer-Prototypen entwickelt werden (Abb. 1). Sie basieren auf Platinabsorbern, die galvanisch auf dünnen keramischen Membranen abgeschieden werden. Prototypen mehrerer Generationen werden inzwischen seit vier Jahren erfolgreich an der Garchinger Fusionsanlage ASDEX Upgrade eingesetzt. Ein erster Test bei noch geringen Neutronenflüssen im Forschungsreaktor BR2 der Ungarischen Akademie der Wissenschaften fiel ebenfalls positiv aus.
Wie ferner Messungen in Kooperation mit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt belegen, sind die Bolometer auch für den an ITER erwarteten Spektralbereich ausreichend empfindlich. Abbildung 2 zeigt hierzu die gemessene Effizienz zweier Prototypdetektoren im Energiebereich von 1 eV bis 25 keV. Dies entspricht einer Wellenlänge der aus dem Plasma einfallenden Strahlung von 1.000 nm bis 0,05 nm. Im Bereich der Bremsstrahlung, die den Hauptanteil der vom Plasma emittierten Leistung ausmacht, liegt die Effizienz nahe bei 100 Prozent. Zu höheren Energiebereichen hin lässt sie sich sehr gut mit den aus der Literatur bekannten Massenabsorptionskoeffizienten (nach Henke et al.) beschreiben. Lediglich im Bereich der vom Plasma ausgesandten Linienstrahlung bei niedrigeren Photonenenergien geht die Effizienz zurück, je nach Oberflächenbeschaffenheit der Absorber auch unter die aufgrund der Reflektivität erwarteten Werte (nach Palik et al. [2])
Wie verhalten sich die Prototypen bei hohen Temperaturen? Ein Teststand am IPP erlaubt, die Detektoren im Vakuum bei bis zu 450°C zu kalibrieren und Messungen zu simulieren. Das Ergebnis: Die Prototypen können durchaus auch bei hohen Temperaturen betrieben werden [3]. Eine wiederholte Aufheizung über 250°C und eine anschließende Abkühlung, wie sie in ITER der Fall sein wird, offenbarte aber eine mechanische Schwäche. Die dünnen keramischen Membranen können den wechselnden Lasten nicht standhalten und brechen nach einigen Zyklen [4]. Hierfür eine Lösung zu finden, ist Ziel der aktuellen Entwicklungsarbeit. Intensive Finite-Elemente-Analysen halfen, geeignete Variationen im Entwurf auszuloten. Neben der Untersuchung von alternativen Materialien für den Absorber wird auch dessen Aufhängung mittels Festkörpergelenken anstelle von dünnen Membranen untersucht.
Genau definierte Sichtlinien
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Charakteristik von Sichtlinien, entlang derer die Bolometer das Plasma beobachten. Um diese zu untersuchen, wurde der Roboterteststand IBOROB aufgebaut [5]. Bei ITER müssen die Sichtlinien viel genauer als bei aktuellen Fusionsexperimenten definiert sein, da erstens das Gefäß viel größer ist und zweitens die Sichtlinien exakt durch schmale Spalte zwischen meterdicken Blanket-Modulen – der Verkleidung der Gefäßwand – hindurchschauen müssen. Hierfür werden Kollimatoren entwickelt, die den Sichtlinienkegel festlegen und auf teilweise bis zu einem Winkelgrad einschränken müssen.
Um das Streulicht im sichtbaren Bereich des Spektrums zu untersuchen, kann mit IBOROB ein Laserstrahl aus allen Richtungen auf den Eintrittsspalt der Sichtlinie gerichtet werden. Indem man gleichzeitig das Bolometersignal misst, bestimmt man so den Lichteinfall in Abhängigkeit vom Einfallswinkel. Über den Vergleich mit auf den Konstruktionsdaten basierenden theoretischen Annahmen können Streulicht bzw. Reflexionen identifiziert werden. Gleichzeitig belegt dieser Teststand, dass man über eine Methode verfügt, mit der die geometrischen Funktionen der Sichtlinien an Ort und Stelle gemessen werden können. Insbesondere der Einsatz des Roboters in ASDEX Upgrade hat dies gezeigt (Abb. 3) [6]. Die Ergebnisse der Messungen halfen, den Entwurf der Kollimatoren so weit zu verbessern, dass Streulicht und interne Reflexionen nun weitestgehend unterdrückt werden können.
Herausforderungen an Diagnostikkomponenten
Auch wurden zwei Möglichkeiten gefunden, wie man die nicht absorbierte Mikrowellenstrahlung der Elektronzyklotronresonanzheizung – eine der Methoden, das Plasma auf hohe Temperaturen aufzuheizen – vom Detektor fernhalten kann [7]. Messungen am Institut für Plasmaforschung der Universität Stuttgart beweisen (Abb. 4), dass eine zusätzliche Blende mit feinen Kanälen, die als dämpfender Wellenleiter wirken, diese Strahlung um mehr als sieben Größenordnungen reduzieren kann (rote Messdaten). Nicht ganz so effektiv ist die zweite Möglichkeit, eine keramische Absorptionsschicht im Inneren des Kollimators aufzutragen (blaue Messdaten). Dafür stört sie jedoch den Lichtdurchsatz nicht. Die Konstruktion des gesamten Gehäuses muss allerdings noch optimiert werden, da Messungen in der Mikrowellen-Testkammer MISTRAL am IPP-Teilinstitut Greifswald eine geringere Dämpfung ergaben.
Die Herausforderungen beim Gehäuse und dessen Befestigung im Vakuumgefäß liegen hauptsächlich bei den thermischen Lasten aufgrund der Neutronen und der Plasmastrahlung. Während Neutronen die Komponenten gleichmäßig aufheizen, trifft die Plasmastrahlung aus einer Richtung auf das Gehäuse und kann so zu Temperaturgradienten führen, die die Messung beeinträchtigen. Daher ist es wichtig, den Detektor von den thermischen Lasten abzuschirmen und die Wärme effizient abzuführen. Aber auch mechanische Lasten, die auftreten, wenn der Strom für den Plasmaeinschluss plötzlich abreißt, dürfen die Ausrichtung der Sichtlinien nicht beeinflussen. Per Simulation lassen sich die zu erwartenden Kräfte und Temperaturen an den Komponenten abschätzen [8]. Sie hängen sehr stark davon ab, wo die Bolometer in ITER platziert und wie sie ausgerichtet werden. Sowohl die richtigen Materialien als auch ein effektiver Wärmeleitpfad am Detektor vorbei zur Wärmesenke hin sind nötig, um die Temperaturen am Detektor nicht über 250°C ansteigen zu lassen.
Entwicklung im ITER-Auftrag
Für die Entwicklung der ITER-Bolometer-Diagnostik hat das IPP im Jahr 2008 nationale Fördergelder eingeworben. Seither wurden fruchtbare Kooperationen aufgebaut, die die Kompetenzen und neuen Teststände am IPP ergänzen. Die dabei erzielten Ergebnisse bilden eine hervorragende Grundlage, um die weiterführenden Aufgaben anzupacken und erfolgreich durchführen zu können. Sie waren auch ausschlaggebend dafür, dass dem IPP und dem von ihm geführten Konsortium ein Rahmenvertrag von Fusion for Energy (F4E), der Agentur zur Koordinierung der europäischen ITER-Beiträge, zugesprochen wurde.
Im Rahmen dieser nächsten – nun europäischen – Förderperiode können in enger Zusammenarbeit aller beteiligten Partner mit F4E und vor allem auch mit der ITER-Organisation die Entwicklungsaufgaben vorangebracht werden. Dabei wird sowohl die Detektorentwicklung als auch die Integration einzelner Komponenten in ITER im Vordergrund stehen. Erstere hat die Entwicklung eines Bolometerdetektors zum Ziel, der allen ITER-Anforderungen gerecht wird, insbesondere den hohen Betriebstemperaturen und wechselnden Wärmelasten. Letztere konzentriert sich darauf, die vielfältigen bisherigen Forschungsergebnisse zu bündeln und unter Berücksichtigung der aktuellsten Daten zu den an ITER zu erwartenden Lasten die optimalen Konzepte zu entwickeln und in ITER zu integrieren.