Ein neues Betriebsszenario für das Fusionskraftwerk
Forschungsbericht (importiert) 2006 - Max-Planck-Institut für Plasmaphysik
Im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik werden die physikalischen Grundlagen der Kernfusion zur Energieerzeugung untersucht, insbesondere der Einschluss der zum Betrieb einer Fusionsanlge notwendigen heißen Plasmen in Magnetfeldern. Im Bereich „Tokamak-Szenario-Entwicklung“ wird die Physik des Einschlusses im so genannten ,Tokamak’ untersucht. Bei diesem Anlagentyp wird ein toroidales Magnetfeld, das von externen Spulen erzeugt wird, mit einem poloidalen Magnetfeld kombiniert, das durch einen starken, per Transformator im Plasma induzierten Strom hervorgerufen wird: Auf diese Weise entstehen ineinander geschachtelte, toroidale magnetische Flächen (Abb. 1). Da die geladenen Plasmateilchen von der Lorentzkraft an die Magnetfeldlinien gebunden werden, lassen sich so hohe Temperatur- und Dichtegradienten zwischen Plasmarand und Zentrum erzielen. An dem in Garching betriebenen Tokamak ASDEX Upgrade beträgt zum Beispiel der Temperaturunterschied vom Rand zum Zentrum bis zu 25 keV oder, in irdischen Temperaturen ausgedrückt, mehr als 250 Millionen Grad Celsius.
Mit dem 2005 gefassten Beschluss, das internationale Tokamak-Großexperiment ITER (lateinisch: „der Weg“), in Cadarache (Frankreich) zu bauen, erhält die Entwicklung von optimierten Tokamak-Betriebsszenarien besondere Bedeutung. Ein geeignetes Betriebsszenario für ein Fusionskraftwerk verbindet hohe Isolationsgüte, ausgedrückt durch die Energieeinschlusszeit τE = W/P (W ist die im Plasma gespeicherte thermische Energie und P die zugeführte Heizleistung) mit guten Stabilitätseigenschaften. Letztere sind charakterisiert durch das dimensionslose Verhältnis β von kinetischem Druck p zum durch das Magnetfeld B ausgeübten magnetischen Druck, d.h. β = 2μ0
/B2. Die gleichzeitige Optimierung beider Größen ist nicht einfach und erfordert letztendlich das grundlegende Verständnis der bestimmenden, nichtlinearen Mechanismen. Im Fall der Isolationsgüte ist das der turbulente radiale Transport von Teilchen und Energie; die Stabilität wird im Wesentlichen durch das Auftreten großskaliger magnetohydrodynamischer (MHD) Instabilitäten bestimmt. An ASDEX Upgrade, das in seiner Geometrie ITER ähnelt, aber in der Lineardimension einen Faktor 4 kleiner ist (Abb. 2), werden diese Mechanismen eingehend untersucht, um so das Experimentieren an ITER bestmöglich vorzubereiten.
Verbesserte Betriebsweisen
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Entwicklung eines für ITER geeigneten Betriebsszenarios war im Jahre 1982 die Entdeckung der so genannten High Confinement-Mode (H-Mode) am Vorgängerexperiment ASDEX in Garching. In diesem Betriebsszenario bildet sich spontan eine Transportbarriere am Rand des Plasmas, die zu steilen Gradienten in dieser Region führt (Abb. 3). Amplitude und radiale Korrelationslänge der Turbulenz sind hier durch verscherte Plasmarotation stark reduziert, was insgesamt zu einem Ansteigen von τE um ungefähr einen Faktor 2 führt verglichen mit dem vorherigen Standard-Szenario der L-Mode (Low Confinement-Mode). Die Entdeckung der H-Mode hat das ITER-Design in seiner jetzigen Form überhaupt erst möglich gemacht und ist zurzeit das für ITER vorgesehene Standard-Betriebsszenario.
Neuere Untersuchungen an ASDEX Upgrade haben aber gezeigt, dass auch dieses Szenario noch verbessert werden kann: In der so genannten ,Improved H-Mode’ (siehe auch Jahrbuch 2003) kann τE noch einmal gesteigert werden. In den letzten zwei Jahren ist nun klar geworden, dass solche Betriebsszenarien auf einem hochgradig nichtlinearen Wechselspiel von MHD-Stabilität und turbulentem Transport beruhen. So können für gleiche externe Kontrollparameter – Plasmastrom und Magnetfeld, Dichte und Heizleistung – je nach Entladungsführung unterschiedliche Endzustände erreicht werden. Ein Beispiel gibt Abbildung 4, in der Zeitspuren zweier Entladungen mit gleichen Kontrollparametern, aber unterschiedlicher Entladungsführung gezeigt werden.
In der rot markierten Entladung wird die Heizleistung in einer frühen Phase – noch während des Stromaufbaus – eingeschaltet, während in der blau markierten Entladung die Heizleistung verzögert in das Plasma eingebracht wird. Die stationären Endzustände unterscheiden sich in der gespeicherten Energie, was wegen der identischen Heizleistung einem Unterschied in der Energieeinschlusszeit τE entspricht. Beide Zustände sind gegenüber der normalen H-Mode verbessert, im einen Fall um 20, im anderen um 50 Prozent. In einem Fusionskraftwerk würde sich damit – wegen der quadratischen Abhängigkeit der Fusionsleistung vom Druck – die Fusionsleistung im letzteren Fall mehr als verdoppeln.
Gründliche Analyse
Für den Plasmaphysiker wirft dieses Phänomen die spannende Frage auf, wodurch sich die beiden Zustände im Detail unterscheiden. Dazu müssen die radialen Profile der Plasmaparameter genauer analysiert werden. Betrachtet man insbesondere das radiale Profil des im Plasma getriebenen toroidalen Stromes, so findet man systematisch subtile Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Szenarien. Abbildung 5 zeigt dies an Hand des radialen Verlaufs des so genannten Sicherheitsfaktors q, der die Helizität (die Verdrillung) der Feldlinien charakterisiert. q ist das Verhältnis der Anzahl von poloidalen zu toroidalen Umläufen um den Torus entlang einer Feldlinie. Für einen Torus mit großem Aspektverhältnis lässt es sich durch q = (rBt)/(RBp) darstellen, wobei r der kleine Radius des Torus und R der große Radius ist. Bt ist das toroidale Magnetfeld und Bp die poloidale Komponente, welche mit dem Plasmastrom verknüpft ist. Die beobachteten Unterschiede in q(r) können nach heutigem Stand der Turbulenzforschung in magnetisierten Plasmen tatsächlich zu einem verbesserten Energieeinschluss führen: Die durch erhöhte magnetische Verscherung dq/dr ausgelöste Turbulenz, wie sie in Abbildung 5 bei halbem Plasmaradius (also beim Radius von ca. 2 m) zu sehen ist, kann zu steileren Temperaturgradienten hin verschoben werden.
Das experimentelle Resultat lässt sich also durch die unterschiedlichen Stromdichteprofile erklären. Allerdings sind solche Unterschiede zunächst sehr erstaunlich, da man für gleichen Gesamtstrom und ähnliche Temperatur- und damit ebenso Leitfähigkeitsprofile auch gleiche Stromdichteprofile erwarten würde. (Im Plasma ist die elektrische Leitfähigkeit proportional zur Elektronentemperatur). Es bleibt also zu klären, warum sich unterschiedliche Stromdichteprofile ausbilden.
Weiterführende Untersuchungen zeigen nun, dass dies offensichtlich durch unterschiedliche MHD-Instabilitäten bedingt ist. Die genaue Analyse ergibt, dass keines der beiden in Abbildung 5 gezeigten Profile mit der Annahme verträglich ist, dass das Stromprofil dem Profil der elektrischen Leitfähigkeit folgt. Stattdessen ist der q-Wert im Plasmazentrum generell höher als erwartet, was einer anomalen Verbreiterung des Stromdichteprofils entspricht. Diese Tendenz kann man besonders deutlich im zeitlichen Verlauf des zentralen q-Wertes sehen, wie er in Abbildung 6 für eine ähnliche Entladung dargestellt ist. Wegen der hohen Plasmaleitfähigkeit in Verbindung mit dem großen Plasmaquerschnitt ergibt sich für ein heißes Plasma in ASDEX Upgrade eine Stromdiffusionszeit von einigen Sekunden. Daher ist während des Stromaufbaus (t < 1 s in Abb. 4) das Stromprofil nicht im Gleichgewicht: Auf Grund des Skineffektes fließt mehr Strom im Außenbereich und es findet anschließend eine Stromdiffusion zum Zentrum hin statt. Dadurch erwartet man, dass q im Zentrum mit der Zeit abfällt und sich exponentiell dem Gleichgewichtswert nähert. Dieses Verhalten kann auch in Abbildung 6 zunächst beobachtet werden. Mit fortschreitender Zeit zeigt sich aber auf den zentralen Spuren eine Abweichung vom exponentiellen Charakter und es bilden sich Plateaus oberhalb des bei vollständiger Relaxation zu erwartenden Wertes.
Diese stufenhafte Änderung des Zeitverlaufes korreliert nun mit dem Einsetzen von MHD-Instabilitäten, welche bei 2,2 bzw. 3,5 Sekunden anwachsen und von diesen Zeitpunkten an mit gesättigter Amplitude in der Entladung existieren. Abbildung 7 zeigt ein Spektrogramm des am Plasmarand gemessenen gestörten Magnetfelds. Es handelt sich hierbei um resistive MHD-Instabilitäten, so genannte Neoklassische Tearing-Moden (NTMs, s.a. Jahrbuch 2001), die vom Gradienten des Plasmadrucks getrieben werden. Offensichtlich können diese Instabilitäten das Stromprofil in günstiger Weise beeinflussen, sodass der Energieeinschluss in ihrer Anwesenheit besser ist als ohne NTMs. Dies ist umso erstaunlicher, als eine NTM normalerweise mit einer lokalen Abflachung des Druckprofils und daher mit einer Verschlechterung der Einschlussgüte einhergeht. Dieser negative Effekt wird aber im Szenario der „Improved H-Mode“ offensichtlich durch den positiven Effekt des geänderten Stromprofils überkompensiert.
Dies liegt u.a. auch daran, dass durch das geänderte Stromprofil eine in den normalen H-Moden beobachtete zentrale MHD-Instabilität, die so genannte Sägezahninstabilität, nicht auftritt. Untersucht man die beiden in Abbildung 4 gezeigten Entladungen nun genauer, so zeigt sich, dass hier die Stromprofile durch unterschiedliche MHD-Aktivität geregelt werden. Das Vorhandensein mehrerer diskreter Einschlusszustände wird also letztendlich durch das nichtlineare Wechselspiel zwischen Strom- und Druckprofil bestimmt, wobei die MHD-Aktivität die Verbindung herstellt: Sie wird einerseits durch die Gradienten der beiden Profile getrieben und trägt andererseits zum Transport von Strom und Energie bei.
Genau hier liegt auch die zurzeit größte, noch ungelöste Frage: Wie ist es möglich, dass eine MHD-Instabilität das Stromprofil so massiv beeinflussen kann? Mehrere theoretische Ansätze existieren, von der Umverteilung schneller Teilchen, welche zum Stromtrieb beitragen, bis hin zum Dynamo-Effekt, der magnetischen Fluss im Plasmainneren erzeugt. Zukünftige Experimente werden hier Aufklärung bringen und damit grundlegende Fragen der Dynamik heißer Plasmen klären – die übrigens auch für Vorgänge in astrophysikalischen Objekten von großer Bedeutung sind.
Vielversprechende Aussichten
Für ITER und ein Fusionskraftwerk könnten diese Szenarien mit verbessertem Plasmaeinschluss eine wegweisende Verbesserung der Betriebsparameter bringen. In Abbildung 8 ist die Extrapolation der Ergebnisse von ASDEX Upgrade hin zu ITER dargestellt: Nimmt man an, dass sich in ITER eine ähnliche Verbesserung des Einschlusses bei gleichem β erreichen lässt, so bedeutet dies entweder eine Erhöhung der Fusionsleistung um bis zu 100 Prozent, oder die Möglichkeit, den ITER-Arbeitspunkt bei niedrigerem Plasmastrom zu erreichen. Letzteres kann zu signifikant längeren Entladungsdauern führen.
Bei hohem β und niedrigem Strom wird in einem toroidalen Plasma zudem ein starker Strom intrinsisch durch einen thermoelektrischen Effekt erzeugt. Ob damit dem Tokamak letztendlich auch sein größtes Manko, nämlich die gepulste Betriebsweise, abgewöhnt werden kann, bleibt ein aktuelles Forschungsthema, das in den nächsten Jahren in ASDEX Upgrade, aber auch im weltweiten Fusionsprogramm intensiv untersucht werden wird.