Virtuelle Experimente zu Randinstabilitäten in Fusionsplasmen
Forschungsbericht (importiert) 2020 - Max-Planck-Institut für Plasmaphysik
Auf dem Weg zu einem Fusionskraftwerk, das die Verschmelzung von Atomkernen zur Energiegewinnung nutzt, sind noch einige Probleme zu lösen, darunter das Verständnis und die Kontrolle großräumiger Plasmainstabilitäten. Dazu gehören Edge-Localized Modes, periodische Instabilitäten am Plasmarand, die in weniger als einer Millisekunde zehn Prozent der Plasmaenergie ausschleudern können. In numerischen Simulationen ist es jetzt erstmals gelungen, ihre volle nichtlineare Dynamik über mehrere Zyklen hinweg zu berechnen und dabei die meisten experimentellen Beobachtungen zu reproduzieren.
Um die Kernfusion in einem Kraftwerk zu nutzen, wird ein Plasma – ein ionisiertes Gas – auf Temperaturen von über hundert Millionen Grad Celsius erhitzt. Dieses heiße Plasma muss von den umschließenden Wänden ferngehalten werden, um nicht abzukühlen und die Wände nicht zu beschädigen. Dazu wird das Plasma in einer Art Magnetfeldkäfig eingeschlossen. Derzeit werden weltweit zwei Anlagentypen untersucht: Tokamak und Stellarator. Während das Magnetfeld in Stellaratoren ausschließlich durch kompliziert geformte Magnetspulen aufgespannt wird, trägt das Plasma in einem Tokamak über einen starken Plasmastrom selbst zu seinem Einschluss bei.
Wir behandeln hier sogenannte Edge-Localized Modes (ELMs), explosive Instabilitäten, die quasi-periodisch am Plasmarand auftreten und in weniger als einer Millisekunde zehn Prozent der im gesamten Plasma gespeicherten Energie herausschleudern können. Für das internationale Tokamak-Großexperiment ITER, das gerade in Südfrankreich aufgebaut wird, und mehr noch für ein künftiges Fusionskraftwerk, sind ELMs ein ernstes Problem. Gelingt es nicht, sie zu bändigen, würden Teile der mit dem heißen Plasma in Kontakt stehenden Wand periodisch extremen Wärmebelastungen ausgesetzt und damit in ihrer Lebensdauer stark beeinträchtigt.
Beobachtet wurden ELMs erstmals vor beinahe vierzig Jahren am damaligen Experiment ASDEX in Garching. Hier traten sie in Verbindung mit einer Transportbarriere am Plasmarand auf. Diese Transportbarriere ist verbunden mit einer stark verscherten Plasmaströmung mit radial stark variierender Strömungsgeschwindigkeit und einem sehr steilen Anstieg der Plasmadichte und Temperatur. Zugleich ist in dieser Zone, dem sogenannten Pedestal, der turbulente Energie- und Teilchentransport unterdrückt, was mit einer deutlichen Verbesserung der Wärmeisolierung im gesamten Plasma einhergeht. Die großen Druckgradienten und Plasmaströme in der Pedestal-Region sind allerdings auch Treiber der ELMs. Ihr genaues Verständnis ist wichtig, sowohl um ihr Auftreten und die damit verbundenen Konsequenzen vorherzusagen als auch, um Strategien zu entwickeln, diese Instabilitäten zu unterdrücken oder zu vermeiden.
Dazu arbeiten im IPP Theorie und Experiment Hand in Hand. An dem in Garching betriebenen Tokamak-Experiment ASDEX Upgrade stehen weltweit führende Messmethoden zur Verfügung. Für unsere theoretischen Untersuchungen mit komplexen Programmen nutzen wir einige der größten Supercomputer Europas. In solchen Simulationen ist es jetzt erstmals gelungen, die volle nichtlineare Dynamik über mehrere ELM-Zyklen hinweg zu berechnen – und dabei die meisten experimentellen Beobachtungen zu reproduzieren.
In diesen Simulationen beschreiben wir das Plasma im Flüssigkeitsbild der Magnetohydrodynamik, die sich mit der Wechselwirkung zwischen Magnetfeld und Plasma befasst. Der turbulente Transport im Pedestal-Bereich wird bislang noch durch einen einfachen Diffusionskoeffizienten charakterisiert. Die kombinierte Beschreibung der kleinräumigen Turbulenz und der großräumigen ELMs soll später untersucht werden.
Wird in unseren Simulationen das Plasma geheizt, dann steigt der Druckgradient an. Thermoelektrische Effekte führen dazu, dass nun ein Plasmastrom proportional zum Druckgradienten getrieben wird. Druckgradient und Strom wiederum sind treibende Kräfte für die Instabilitäten. Für den ELM-Zyklus entscheidend sind die erwähnten starken Plasmaströmungen. Sie sind ebenfalls proportional zum Druckgradienten, wirken jedoch stabilisierend. Sie halten die Instabilitäten daher lange bei niedrigen Amplituden – bis ein Punkt erreicht wird, an dem trotz der verscherten Strömungen erste langsam anwachsende Instabilitäten auftreten. Sie unterdrücken die stabilisierenden Effekte stärker als die destabilisierenden. Dieses selbstverstärkende Wachstum der Instabilität mündet in einen explosiven ELM-Zusammenbruch, bei dem der Plasmarand stark gestört wird (Abbildung 1 und Video): In wenigen hundert Mikrosekunden gehen große Mengen an Wärmeenergie und Plasmateilchen nach außen verloren.
Die Simulationen stimmen hier sowohl in den Zeitskalen als auch in den Verlusten sehr gut mit dem Experiment überein. Der Druckgradient am Plasmarand baut sich während des ELM-Zusammenbruchs so stark ab, dass die Plasmadynamik sich beruhigt, bis ein erneuter Aufbau beginnt. Im Wärmefluss auf die Wandstrukturen ist dieser Zyklus gut zu erkennen (Abbildung 2).
Die gute Übereinstimmung mit experimentellen Beobachtungen konnte auch bei einer Variation der Plasmaheizung gefunden werden. Die Wiederholrate der quasiperiodischen ELMs verringert sich wie im Experiment mit abnehmender Heizleistung. Bei zu geringer Heizung verschwinden die ELMs und werden durch kontinuierliche magnetohydrodynamische Turbulenz ersetzt.
Weitere Untersuchungen sollen es möglich machen, konkret vorherzusagen, unter welchen Bedingungen ELMs durch diese harmlose kontinuierliche Aktivität ersetzt werden und welche Steuermechanismen dafür entwickelt werden können. Dabei werden wir bei der Optimierung der Simulationscodes weiter auf die Unterstützung der Max Planck Computing and Data Facility in Garching und des High Level Support Team im europäischen Konsortium EUROfusion bauen können, für die wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken.