Auf dem Weg zur nächsten Stellarator-Generation
Wie lassen sich künftig noch bessere Stellaratoren bauen? Das ist die Kernfrage, der eine international besetzte Gruppe theoretischer Physiker beim Simons Workshop am IPP in Greifswald nachging. Das zweiwöchige Format war Höhepunkt einer weltweit wohl einmaligen wissenschaftlichen Kollaboration – gefördert von der Simons Foundation.
Für zwei Wochen waren im Günter-Grieger-Hörsaal nicht alle Blicke auf die Videoleinwand gerichtet. Forschende liefen durch den Raum. Andere saßen in Gruppen zusammen und diskutierten miteinander, während sich per Videokonferenz weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer zuschalteten. Kaffeepausen waren zwar terminiert, aber viele der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiteten einfach weiter – und bestimmten selbst, wann sie nach draußen gingen. Der Simons Workshop am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald (27. Juni bis 8. Juli 2022) ließ Forschenden ganz bewusst Freiräume, damit Unerwartetes entstehen konnte. „Natürlich setzten wir auch einen Rahmen“, erklärt Gastgeber Prof. Dr. Per Helander, Leiter des Bereichs Stellaratortheorie am IPP in Greifswald. So gab es täglich meist zwei bis drei Vorträge, die Themen vorgaben. „Aber ansonsten vertrauen wir voll auf Selbstorganisation der Teilnehmenden.“
Theoretiker optimieren Magnetfelder
Fachlich ging es beim Simons Workshop um die nächste Generation von Stellaratoren. Diese Anlagen verfolgen eines der beiden Konzepte (das andere sind Tokamaks), mit denen Physikerinnen und Physiker künftig Energie durch magnetischen Einschluss von Fusionsplasmen erzeugen wollen. Während die Sonne durch gewaltige Gravitationskräfte Atomkerne zum Fusionieren bringt, braucht es auf der Erde physikalische Tricks, um diese Art der Energiegewinnung nachzuahmen. Und hier kommen Magnetkäfige ins Spiel, wie sie Tokamaks und Stellaratoren einsetzen. Während diese extrem starken Magnetfelder bei Tokamaks axialsymmetrisch geformt sind, verfolgen Stellaratoren ein völlig anderes Konzept: Mit gezielt verdrillten Magnetspulen erzeugen sie komplexe asymmetrische Felder, durch die technische Nachteile von Tokamaks überwunden werden können.
Die größte und leistungsfähigste Stellarator-Anlage der Welt ist Wendelstein 7-X am IPP in Greifswald – deren Konzeption theoretischen Physikerinnen und Physikern Hochleistungen abverlangte und den Einsatz aufwändiger Computersimulationen erforderte. „Bei Stellaratoren haben wir viel mehr Möglichkeiten als bei Tokamaks durch Optimierung des Magnetfelds bessere Ergebnisse zu erzielen“, sagt Prof. Helander. Wie wirkungsvoll Optimierungsstrategien bei Stellaratoren sind, hatten IPP-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 2021 in einer Veröffentlichung im renommierten Fachjournal „Nature“ nachgewiesen.
Förderung von der Simons Foundation
Die Teilnehmenden des Simons Workshops arbeiten daran, mit ihren Theorien Stellaratoren zu ermöglichen, die die Leistungen von Wendelstein 7-X dereinst weit übertreffen werden. Dazu haben sich die internationalen Spezialisten zu einer weltweit wohl einmaligen wissenschaftlichen Kollaboration zusammengefunden: der Simons Collaboration on Hidden Symmetries and Fusion Energy. Seit 2018 wird das internationale Projekt von der US-amerikanischen Simons Foundation mit jährlich zwei Millionen Dollar gefördert.
„Stellaratoren sind ein einzigartiges wissenschaftliches Konzept von so großer Komplexität, dass wir es nur gemeinsam voranbringen können“, sagt Prof. Dr. Amitava Bhattacharjee, Physiker an der Princeton University in New Jersey, USA, und Leiter der Simons Collaboration. „Alle unsere Mitglieder sind sich einig, dass sie alle ihre Zwischenstände miteinander diskutieren und nichts zurückhalten.“ Alle zwei Wochen gibt es eine Videokonferenz – immer morgens zwischen acht und neun Uhr US-Ostküstenzeit. „Wir nennen das die Simons Hour“, erklärt Prof. Bhattacharjee. Ein Kernteam von 20 Forschenden sei fast immer dabei. Manchmal schalten sich aber auch 80 Stellerator-Spezialistinnen und –Spezialisten ein. Einmal jährlich im März trifft man sich persönlich in Princeton und New York.
Den Höhepunkt der Kollaboration bildet aber der Simons Workshop, der bislang wegen der Corona-Pandemie ausfallen musste, der aber in den kommenden Jahren regelmäßig stattfinden soll. Die Veranstaltung in Greifswald war somit auch eine Premiere. 74 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nahmen teil. Weil einige an Covid-19 erkrankten, konnten nicht alle persönlich ans IPP kommen, sondern waren nur per Videokonferenz zugeschaltet. Sie erlebten den intensiven Charakter des Simons Workshops nur teilweise mit: Wissenschaftler aus unterschiedlichen Einrichtungen weltweit treffen sich für zwei Wochen an einem Ort – um zusammen zu arbeiten und auch Freizeit miteinander zu verbringen.
Beschleunigter wissenschaftlicher Fortschritt
In zwei Wochen Simons Workshop ging es um viele der wichtigsten Aspekte der Stellarator-Optimierung – etwa um das Minimieren von Turbulenzen im Plasma, um schnelle Ionen, die bei der Fusion einen großen Teil der entstehenden Energie tragen und um Divertoren, die in Fusionsanlagen das Plasma von Reaktionsprodukten reinigen. „Ein besonders vielversprechendes Ergebnis der Zusammenarbeit ist der neue Computercode SIMSOPT, der bei der Optimierung deutlich bessere Ergebnisse erzielt als frühere Methoden“, sagt Prof. Helander. Damit sei es etwa möglich Stellaratoren zu konzipieren, die Alphateilchen (also die bei der Fusion entstehenden Helium-4-Kerne) besser einschließen könnten als das im Bau befindliche internationale Fusionsgroßexperiment ITER – eine Anlage nach dem Tokamak-Prinzip. Alphateilchen sollen in Fusionskraftwerken das Plasma heizen und dadurch dazu beitragen, die Fusionsreaktion aufrecht zu erhalten. SIMSOPT kann außerdem Stellaratorkonzepte entwerfen, bei denen Mikroturbulenzen vom Typ ITG (Ion Temperature Gradient) im Vergleich zu Wendelstein 7-X deutlich reduziert sind.
Für Prof. Bhattacharjee sind die Erfolge der Simons Collaboration kein Zufall. Er ist sich sicher: „Die intensive Zusammenarbeit beschleunigt den wissenschaftlichen Fortschritt dramatisch.“