Warum die Fusionsforschung von Astrophysik profitiert

Vom 1. bis zum 9. August fand das „International Symposium for Space Simulation“ am IPP in Garching statt. IPP-Direktor Prof. Frank Jenko hat die Konferenz mitorganisiert. Er erklärt, was die Fusionsforschung von der Astrophysik lernen kann.

14. August 2024

Frank Jenko, Direktor am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP), beschäftigt sich hauptsächlich mit der theoretischen Beschreibung von Fusionsplasmen. Darüber hinaus leitet der Physiker aber auch eine Arbeitsgruppe für Plasma-Astrophysik – eine Rarität am IPP. Anfang August lud er zu einer wichtigen Konferenz des Fachs ein. Von einem, der gelegentlich nach den Sternen greift.

„Die Welt ist ein Plasma!“ – sagt Frank Jenko, und das sei ganz wörtlich zu nehmen: „Der überwiegende Teil der im Universum vorkommenden sichtbaren Materie liegt im Plasmazustand vor“, erklärt der Physiker, der am IPP eine Gruppe zur Erforschung kosmischer Plasmen leitet. „Sterne, die Umgebungen von Schwarzen Löchern, sogar der interplanetare und -stellare Raum selbst: All das ist Plasma!“ Moment, auch der interstellare Raum? Das kalte, leere Nichts? „Viele verbinden intuitiv Plasma mit sehr hohen Temperaturen; das ist aber nur die halbe Wahrheit: Sie können den Plasmazustand auch erreichen, wenn Sie ein Gas immer weiter verdünnen, wie es im interstellaren Raum der Fall ist“, erläutert Jenko.

Das ist Jenkos Kosmos: ein Universum aus Plasma; und unser Planet als krasse Ausnahme mittendrin. Jener Planet, auf dem das IPP beheimatet ist, dessen Aufgabe es ist, laut Homepage, die „physikalischen Grundlagen für ein Fusionskraftwerk“ zu untersuchen. Von Weltraumforschung und Astrophysik ist in dieser Selbstbeschreibung keine Rede; Fusionskraftwerke werden hier auf der Erde benötigt. Warum also schaut Tokamak-Experte Jenko, der sich sonst mit der Theorie und numerischen Simulationen in der Fusionsforschung, mit Turbulenz und magnetischem Einschluss beschäftigt, gen Himmel?

Wir treffen den Physiker während des International Symposium for Space Simulations (ISSS-15) im Foyer des Arnulf-Schlüter-Hörsaals am IPP. Das vom 1. bis 9. August 2024 stattfindende Symposium läuft parallel zum International Workshop on the Interrelationship between Plasma Experiments in the Laboratory and in Space (IPELS-16) und gehört zu den renommiertesten Zusammenkünften seiner Art. Führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aber auch Doktorandinnen und Postdocs, sind gekommen, um in Vorträgen und Seminaren – und nicht zuletzt während der Pausen bei Kaffee und Kuchen – die großen Fragen der Plasma-Astrophysik zu diskutieren und neue Verbindungen zu knüpfen.

Darum geht es Jenko, der als Vorsitzender des Scientific Organizing Committee die Tagung organisiert: Verbindungen zu knüpfen zwischen Weltraumforschung und Fusionsforschung. „Es gibt erstaunliche Parallelen in vielen Bereichen“, sagt Jenko, „und oft kommt es vor, dass jemand auf der einen Seite vom Zaun irgendetwas weiß, kann oder entwickelt hat, das auch für die andere Seite relevant sein könnte.“ Beispiele? Gibt es viele, sagt er. Zum Beispiel Turbulenzforschung: „In der Fusionsforschung haben wir über viele Jahre hinweg enormes Wissen über Turbulenz in magnetisierten Plasmen gesammelt. Wir konnten die Beschreibung von Plasmaturbulenz mit sogenannten gyrokinetischen Gleichungen stark vereinfachen.“ Diese Entwicklung kann nun auch in der Weltraumphysik angewendet werden: „Die Umwandlung kinetischer Energie in Wärme ist im fast stoßfreien Sonnenwind viel stärker, als man erwarten würde, wenn man die Turbulenz unberücksichtigt lässt“, erklärt Jenko. „Aber mithilfe der in der Fusionsforschung entwickelten Gleichungen konnten wir das Phänomen erklären.“

Die Workshop-Teilnehmenden verlassen den Hörsaal; es wird laut im Vorraum. Gerade hat Brian Reville vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg über die Plasma-Physik der extremsten Teilchenbeschleuniger der Galaxie referiert; der Vortrag dauerte 30 Minuten. Den Geräuschpegel nach zu urteilen, hat der Vortrag Gesprächsstoff geliefert. „Das ist in der Tat ein sehr interessantes Thema“, sagt Jenko mit einer Tasse Kaffee in der Hand. „Das Erstaunliche an der kosmischen Strahlung ist der gigantische Energiebereich, den sie abdeckt: Neben Teilchen, die von der Sonne ausgehen und vergleichsweise wenig Energie transportieren, finden wir auch Teilchen mit einer Energie von bis zu 10^20 Elektronenvolt. Das ist weit mehr, als unsere besten Teilchenbeschleuniger erzeugen können.“ Die Herkunft dieser hochenergetischen Teilchen ist eine der großen Fragen der Plasma-Astrophysik. Vieles deutet darauf hin, dass die Teilchen am Rand von Schwarzen Löchern entstehen. „Dort spielt die Allgemeine Relativitätstheorie eine große Rolle, und die in der Fusionsforschung oft benutzte Magnetohydrodynamik muss entsprechend erweitert und dann auf die Beschleunigung von elektrisch geladenen Teilchen angewandt werden“, erklärt Jenko. „Das ist ein äußerst spannendes Forschungsfeld, bei dem es noch viel zu entdecken gibt.“

Dass gerade das IPP als Fusionsforschungsinstitut Gastgeber für astrophysikalische Workshops ist, sieht Jenko nicht als Widerspruch. Auch wenn die Forschung in der Plasma-Astrophysik am IPP in den 1980er und 1990er Jahren etwas eingeschlafen war, betont Jenko, dass das Thema von Anfang an Teil der IPP-DNA gewesen sei: „Astrophysik hat am IPP eine gewisse Tradition“, sagt Jenko. „Die Gründungsdirektoren kamen nicht selten aus der Astrophysik. Wo hätte man in den 1960er Jahren schließlich Plasmaphysiker hernehmen sollen, wenn es die Fusionsforschung als solche noch gar nicht gab?“ Die astrophysikalische Forschung am IPP hat vor etwa 20 Jahren wieder an Fahrt gewonnen, als Jenko eine Kooperation zwischen IPP und dem Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung ins Leben rief. „Auf dieser Basis wurde dann einige Jahre später das Max Planck Princeton Center for Plasma Physics (MPPC) gegründet, eine Initiative von IPP-Direktorin Sibylle Günter, in Kooperation mit der Princeton University in den USA“, erinnert sich Jenko. „In dieser Zeit wurde die Astrophysik am IPP wieder relevanter, und wir merkten, dass viele der auf der einen Seite entwickelten Erkenntnisse und Tools auch für die andere Seite interessant sein könnten. Die grundlegenden plasmaphysikalischen Phänomene sind ja dieselben.“

Der nächste Vortrag beginnt. Jongsoo Yoo vom Princeton Plasma Physics Laboratory spricht über die jüngsten Beobachtungen in einem Laborexperiment zur magnetischen Rekonnexion. Die Vorträge folgen Schlag auf Schlag. Viele Sessions, viele Seminare, zahlreiche Poster mit komplizierten Gleichungen und Grafiken. Verliert man da nicht gelegentlich den Überblick? „…aber es gibt ja auch verschiedene soziale Events, die ein wichtiger Teil solcher Meetings sind“, beschwichtigt Jenko. „Auch die können Verbindungen unter den Teilnehmern fördern.“ Er stellt die Tasse Kaffee ab. „Ich muss jetzt aber langsam los“, sagt er, „sonst verpasse ich noch den Vortrag.“

Am Sonntag stand ein Tagesausflug zum Herzogstand auf dem Programm. Der 1700 Meter hohe Berg liegt in den Bayerischen Voralpen nahe der Gemeinde Kochel am See, rund 80 Kilometer südlich von München – Frank Jenko nahm natürlich auch daran teil. Ob gerade eine Bergtour die erhoffte Erholung zwischen den Sessions bietet, bleibt fraglich. Unfraglich ist jedoch, dass auch auf dem Gipfel die spannenden Phänomene der Plasma-Astrophysik diskutiert wurden. Vielleicht half es ja, dass man dort den Sternen ein kleines Stückchen näher war.

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