Energiespar-Programm für die Stadt Wien

Private Haushalte Wiens im IPP modelliert / kostenoptimales Energiesparen berechnet

21. August 2006
Wie lässt sich der Energieverbrauch einer ganzen Stadt möglichst kostengünstig und ohne Komfortverlust senken? Dieser Frage widmete sich die Gruppe „Energie- und Systemstudien“ des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München und beteiligte sich damit im Auftrag der Stadt Wien an der Entwicklung eines städtischen Energieeffizienz-Programms.

Das kürzlich verabschiedete Programm soll den Wiener Endenergieverbrauch jährlich um 180 Gigawattstunden senken – die Heizenergie für 30.000 Einwohner. Bis 2015 soll sich so der Jahresverbrauch um insgesamt 1800 Gigawattstunden vermindern. Allein im Bereich der im IPP untersuchten privaten Haushalte ließen sich jährlich 90 Gigawattstunden, d.h. 900 Gigawattstunden im Jahr 2015, einsparen. Insgesamt zeigt das Sparprogramm Wege auf, den bis 2015 zu erwartenden Anstieg des Wiener Endenergieverbrauchs von zwölf auf sieben Prozent zu bremsen.

Von 1993 bis 2003 stieg der Endenergieverbrauch in den Wiener Haushalten, im Verkehr, in Industrie und Gewerbe sowie für öffentliche und private Dienstleistungen um insgesamt 24 Prozent auf rund 38.000 Gigawattstunden. Business as usual vorausgesetzt, würde der Verbrauch bis zum Jahr 2015 – so Berechnungen der Technischen Universität Wien – um weitere 12 Prozent auf 42.000 Gigawattstunden klettern. Dieser angesichts Klimaschäden und hoher Energiepreise sehr unerwünschten Entwicklung wollte der Wiener Magistrat mit einem Energiespar-Programm entgegenwirken. In der dazu Ende 2004 gegründeten Projektgruppe fanden sich neben städtischen Energiefachleuten die „Energie- und Systemstudien-Gruppe“ des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik in Garching, die Technische Universität Wien, die Österreichische Energieagentur und die Firma IRM AG als Partner zusammen. Ziel war es, Wege aufzuzeigen, wie die Wiener Verbraucher durch Steigerung der Energieeffizienz mit möglichst geringem volkswirtschaftlichen Aufwand möglichst viel Energie einsparen können.

Ein Drittel des Wiener Endenergieverbrauchs, und damit der größte Einzelposten, entfällt auf die privaten Haushalte. Zur Erstellung des Energiespar-Programms wurden die Haushalte deshalb von allen Verbrauchssektoren der Stadt am genauesten analysiert, was der IPP-Wissenschaftler Stefan Winkelmüller übernahm. Tatsächlich ließe sich in den Haushalten auch Beachtliches an Energie einsparen, wie der Physiker in seiner Doktorarbeit zeigen konnte: „Durch die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen könnte der Gesamtverbrauch der privaten Haushalte bis 2015 im Vergleich zu 2005 um sechs Prozent bzw. rund 900 Gigawattstunden sinken.“

Die Analyse
Am Beginn von Stefan Winkelmüllers Analyse stand die ausführliche Beschreibung möglicher technischer Sparmaßnahmen in den Haushalten, zum Beispiel die Sanierung der Gebäude oder der Wechsel zu sparsameren elektrischen Geräten. Bereits im Vorfeld wurde auch geprüft, ob sich diese Maßnahmen tatsächlich umsetzen lassen, d.h. durch Gesetzgebung oder Förderprogramme unterstützt werden können. Um den Energieverbrauch der Wiener Haushalte dann in einem Rechenmodell abbilden zu können, war in einem zweiten Schritt das ausführliche städtische Datenmaterial zu strukturieren, das Auskunft gibt über Alter, Zustand und Heizung der 168.000 Wiener Gebäude und die Ausrüstung der 800.000 Haushalte mit Elektrogeräten.

Die vorhandenen Ein- und Mehrfamilienhäuser wurden dazu sehr detailliert in je sieben Altersklassen sortiert. Je Gebäudeklasse standen fünf Varianten für die Gebäudesanierung und 15 verschiedene Heizungssysteme – wie Fernheizung, öl- oder gasbetriebene Zentral- oder Einzelofenheizung, Strom-, Biomasse- oder Wärmepumpenheizung – zur Auswahl. Für Neubauten wurden zudem unterschiedliche Wärmeschutz-Standards berücksichtigt. Die wichtigsten Elektrogeräte – zum Beleuchten, Kochen, Waschen, Spülen und Kühlen – wurden in verschiedene Effizienzklassen eingeteilt. Für alle Techniken wurden Effizienz und spezifische Kosten erfasst, außerdem jeweils der Bestand und dessen Alterstruktur im ersten Jahr der Modellrechnungen. Als Zeitreihen von 2002 bis 2015 wurden die „Antreiber“ des Energieverbrauchs vorgegeben: Wie wird sich die Nachfrage nach Wohnraum entwickeln, wie gut werden die Haushalte mit elektrischen Geräten ausgerüstet sein?

Eingebaut wurden all diese Bestimmungsstücke in ein von der Firma IRM AG entwickeltes Rechenprogramm, das komplexe Energiesysteme abbilden und ihre mögliche Entwicklung unter vorgegebenen Randbedingungen kostenoptimiert berechnen kann. Mit dessen Hilfe berechnete Stefan Winkelmüller – ausgehend vom gemessenen Endenergieverbrauch der Jahre 1993 bis 2002 – zunächst den Ist-Zustand und seine voraussichtliche Fortentwicklung in die Zukunft. Dieses „Business as usual“-Szenario beschreibt, wie sich der Energieverbrauch der Wiener Haushalte bis 2015 wahrscheinlich entwickeln würde, wenn keine über die bisherigen Einspar-Anstrengungen hinausgehenden Maßnahmen ergriffen würden.

Nun wurden dem Modell unterschiedliche Einsparungen – 900, 1500 und 2000 Gigawattstunden im Jahr 2015 – aufgezwungen. Aus den Daten über die Wiener Haushalte sowie den Kosten für Energieversorgung, Sanierung und Geräteersatz lieferte das Modell nun den mit den geringsten Gesamtkosten verbundenen Weg zur Deckung der vorgegebenen Energienachfrage: Es entscheidet dazu, wie viel von welcher Technik wann zugebaut wird, um die gewünschte Energieeinsparung am kostengünstigsten zu erreichen. Auch Feinheiten kann das Modell berücksichtigen: Denkmalgeschützte Häuser zum Beispiel können nicht beliebig saniert werden. Außerdem werden die beteiligten Akteure wohl kaum alle nur nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten entscheiden. Deshalb wurden Randbedingungen eingeführt, die das wahrscheinliche Verhalten beschreiben und so zu realistischeren Szenarien führen sollen. Dies sind zum Beispiel Kenngrößen, die den maximal zu erwartenden Zuwachs an Niedrigenergie-Geräten angeben.

Das Ergebnis
Damit ergeben sich für die drei Spar-Szenarien der jeweils volkswirtschaftlich optimale Maßnahmen-Mix und die zugehörigen Mehrkosten im Vergleich zum „Business as usual“-Szenario. Stefan Winkelmüller erläutert das Ergebnis: „Eine Einsparung von 900 Gigawattstunden im Jahr 2015 verursacht gegenüber ‚Business as usual’ keine Mehrkosten, sondern spart im Gegenteil neben Energie auch Kosten ein. Hier lohnen sich die Anstrengungen zum Energie sparen also nicht nur für die Umwelt sondern auch finanziell“. Am meisten sparen kann man durch die Sanierung von Gebäuden aus den 50er bis 70er Jahren und den Wechsel zu effizienteren Heizsystemen. Der ermittelte Maßnahmen-Mix hat – so eine Sensitivitäts-Analyse – sogar bei weiter steigenden Energiepreisen Bestand. Allerdings: Je höher die Energieersparnis sein soll, desto geringer fallen – wie erwartet – die Kosteneinsparungen aus. Bei sehr hohen Energieeinsparungen schließlich werden die Szenarien teurer als „Business as usual“.

Der Gesamtbericht des Projektteams enthält – abgesehen vom Haushaltssektor – ebenso Sparstrategien für die Bereiche Dienstleistungen, Industrie und Gewerbe. Nachdem der Abschlussbericht kürzlich vom Wiener Stadtrat angenommen wurde, kann im nächsten Jahr mit der Umsetzung begonnen werden. Stefan Winkelmüller: „Der von der Stadt genehmigte Maßnahmenkatalog wird nur in einer sehr großen Anstrengung aller Beteiligten umsetzbar sein. Damit sollte es aber auch gelingen, den Anstieg des Energieverbrauches bis 2015 von den prognostizierten 12 auf 7 Prozent zu bremsen. Dies entspricht einer gewaltigen jährlichen Absenkung um 180 Gigawattstunden – der gesamte Jahresverbrauch an Heizenergie von 30.000 Einwohnern.“

Hintergrund
Die IPP-Gruppe „Energie- und Systemstudien“ untersucht städtische Energiemodelle als Elemente eines umfassenden „Weltmodells“, das die künftige energiewirtschaftliche Entwicklung global beschreiben soll. Die Untersuchungen begleiten die physikalischen Forschungen des IPP an der Zukunftsenergie Kernfusion. Stefan Winkelmüller: „Die Modellierung des Energieverbrauchs der Wiener Haushalte war für uns eine wertvolle Aufgabe, um – nicht im luftleeren Raum, sondern in einem konkreten Fall und in Zusammenarbeit mit Praktikern – herauszufinden, was man mit Effizienzsteigerung und Energiesparen auf der Nachfrageseite tatsächlich erreichen kann. Hier konnten wir ein ganz konkretes Verständnis dafür gewinnen, wie das Energiesystem auf der Nachfrageseite funktioniert“.

Isabella Milch

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