Spröder Werkstoff gewinnt Zähigkeit – wolframfaserverstärktes Wolfram
Neuartiger Werkstoff für Fusionskraftwerk / Verbundmaterial mit optimierten Eigenschaften
Ziel der Arbeiten im IPP ist die Entwicklung eines Kraftwerks, das – ähnlich wie die Sonne – Energie aus der Verschmelzung von Atomkernen gewinnt. Brennstoff ist ein dünnes Wasserstoff-Plasma. Zum Zünden des Fusionsfeuers muss das Plasma in Magnetfeldern eingeschlossen und auf hohe Temperatur aufgeheizt werden. Im Zentrum werden über 100 Millionen Grad erreicht. Für Bauteile, die direkt mit dem heißen Plasma in Kontakt kommen, ist das Metall Wolfram ein vielversprechendes Material. Dies haben umfangreiche Untersuchungen im IPP gezeigt (siehe Presse-Info 3/2010). Ein bisher ungelöstes Problem allerdings ist die Versprödung des Materials: Unter Kraftwerksbedingungen verliert Wolfram seine Zähigkeit. Einer punktuellen Belastung – Zug, Dehnung oder Druck – kann es nicht durch leichtes Nachgeben ausweichen. Stattdessen bilden sich Risse: Die Bauteile reagieren deshalb sehr empfindlich auf eine lokale Überlast.
Im IPP suchte man deshalb nach Strukturen, die eine lokal auftretende Spannung verteilen können. Vorbild waren faserverstärkte Keramiken: Zum Beispiel wird das spröde Siliziumcarbid nach Verstärken mit Fasern aus Siliziumcarbid fünfmal zäher als zuvor. Nach einigen Vorstudien sollte der IPP-Wissenschaftler Johann Riesch untersuchen, ob ähnliches auch bei dem Metall Wolfram funktionieren kann.
Im ersten Schritt war das neuartige Material herzustellen. Eine Grundmasse aus Wolfram musste mit beschichteten Langfasern aus haardünn gezogenem Wolframdraht verstärkt werden. Die Drähte – eigentlich gedacht als Leuchtfaden für Glühbirnen – lieferte die Osram GmbH. Für ihre Beschichtung wurde im IPP mit unterschiedlichen Materialien experimentiert, darunter Erbium-Oxid. Komplett ummantelt, wurden die Wolframfasern dann dicht nebeneinander gepackt, entweder parallel oder miteinander verwebt. Um schließlich die Drahtzwischenräume mit Wolfram auszufüllen, entwickelten Johann Riesch und seine Mitarbeiter zusammen mit dem englischen Industriepartner Archer Technicoat Ltd. ein neues Verfahren. Während Wolfram-Werkstücke üblicherweise aus Metallpulver bei hoher Temperatur und hohem Druck zusammengepresst werden, wurde für das Verbundmaterial eine sanftere Methode gefunden: Über einen chemischen Prozess wird das Wolfram bei moderaten Temperaturen aus einer gasförmigen Verbindung auf den Drähten abgeschieden. Damit war es erstmals gelungen, wolframfaserverstärktes Wolfram herzustellen – mit dem gewünschten Ergebnis: Die Bruchzähigkeit des neuen Verbundmaterials hatte sich bereits in den ersten Versuchen im Vergleich zu faserlosem Wolfram verdreifacht.
Im zweiten Schritt wurde untersucht, wie dies funktioniert: Als entscheidend erwies sich, dass die Fasern einen Riss in der Grundmasse überbrücken und die lokal einwirkende Energie im Material verteilen können. Dazu müssen die Grenzflächen zwischen Faser und Wolfram-Grundmasse einerseits schwach genug sein, um bei Rissbildung nachzugeben, und anderseits stark genug, um die Kraft zwischen Faser und Grundmasse übertragen zu können. In Biegeversuchen lies sich dies per Röntgen-Mikrotomographie direkt beobachten. Die prinzipielle Funktionsweise des Werkstoffs war damit gezeigt.
Maßgebend für seine Brauchbarkeit ist jedoch, dass die gesteigerte Zähigkeit beim Einsatz erhalten bleibt. Um dies zu prüfen, untersuchte Johann Riesch Proben, die zuvor durch Wärmebehandlung versprödet worden waren. Durchleuchtet von Synchrotronstrahlung oder unter dem Elektronenmikroskop bestätigten sich beim Ziehen und Biegen der Proben auch in diesem Fall die verbesserten Materialeigenschaften: Wenn die Wolfram-Grundmasse unter Belastung versagt, können die Fasern den entstehenden Riss überbrücken und damit aufhalten.
Die Grundlagen für Verständnis und Herstellung des neuartigen Werkstoffs sind damit gelegt. Nun will man Proben unter verbesserten Prozessbedingungen und mit optimierten Grenzflächen produzieren – die Voraussetzung für die Fertigung in größerem Maßstab. Auch außerhalb der Fusionsforschung könnte das neue Material auf Interesse stoßen.
Isabella Milch