Verheißungsvolle Parallelen: Günstiger Plasmazustand der Tokamaks auch bei Stellaratoren

Wendelstein 7-AS erster Stellarator mit H-Regime

9. Dezember 1992

Einer der großen Erfolge der Fusionsforschung des vergangenen Jahrzehnts scheint sich zu wiederholen: 1982 wurde im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) an dem Tokamak-Experiment ASDEX ein besonders günstiger Plasmazustand entdeckt, das H-Regime. Während seither Tokamaks aus aller Welt auf das H-Regime bauen, konnte dieser Plasmazustand jetzt auch bei einem Fusionsexperiment vom Typ Stellarator beobachtet werden, dem IPP-Experiment Wendelstein 7-AS.

Ziel der Fusionsforschung ist es, ähnlich wie die Sonne aus der Verschmelzung von Atomkernen Energie zu gewinnen. Brennstoff ist ein dünnes ionisiertes Wasserstoffgas, ein „Plasma“. Zum Zünden des Fusionsfeuers wird der Brennstoff in einem ringförmigen Magnetfeldkäfig eingeschlossen und auf hohe Temperaturen aufgeheizt. Ist die Einschlußfähigkeit des magnetischen Käfigs ausreichend gut, so beginnt das Plasma oberhalb einer Temperatur von 100 Millionen Grad zu „brennen“: Die Wasserstoffkerne verschmelzen miteinander zu Helium, wobei nutzbare Energie freigesetzt wird.

Experiment-Typen: Tokamaks und Stellaratoren
Für den magnetischen Käfig haben sich im wesentlich zwei Bauweisen durchgesetzt: Weltweit sind die meisten der heute betriebenen Fusionsexperimente vom Typ Tokamak, die daher auch am besten erforscht sind. Sie erzeugen den Magnetfeldkäfig teils durch Magnetspulen, die außerhalb des Plasmagefäßes angeordnet sind, teils durch einen im Plasma fließenden elektrischen Strom. Da der Strom auch für die Anfangsheizung des Plasmas sorgt, galt das Tokamakprinzip als besonders einfach. Experimente vom Typ Stellarator schließen das Plasma durch Magnetfelder ein, die ausschließlich durch Magnetspulen außerhalb des Plasmabereichs erzeugt werden. Stellaratoren arbeiten also ohne Plasmastrom, was erhebliche Vorteile bringt: Sie sind zum Beispiel von vornherein für Dauerbetrieb geeignet. Tokamaks dagegen können ohne Zusatzeinrichtungen nur pulsweise arbeiten, weil der Plasmastrom in Pulsen durch einen Transformator erzeugt wird. Für einen zukünftigen Reaktor könnten Stellaratoren also die günstigere Lösung sein. Alle großen Fusionsprogramme der Welt untersuchen daher auch Stellaratoren. Als einziges Institut in Europa arbeitet das IPP an beiden Experimenttypen parallel zueinander – mit dem Tokamak ASDEX Upgrade und den Stellaratoren der Wendelstein-Serie.

Trotz aller Unterschiede teilten Tokamaks und Stellaratoren bis zur Entdeckung des H-Regimes eine gemeinsame Schwäche: Die wichtigste Eigenschaft des magnetischen Einschlusses, die Wärmeisolation, nimmt ab, sobald die Plasmatemperatur durch Heizung erhöht wird. Unter diesen Umständen erschien es unmöglich, die Zündung zu erreichen. Die Annäherung der Temperatur an die Zündbedingung hatte unweigerlich das Absacken der Wärmeisolation zur Folge. Die Tokamaks führte aus diesem Teufelskreis 1982 das Experiment ASDEX (Axialsymmetrisches Divertor-Experiment) heraus: Mit der Entdeckung des H-Regimes – für „high confinement regime“ – war die erreichbare Wärmedämmung schlagartig doppelt so gut geworden.

Erreicht wurde dies unter anderem durch eine besondere Magnetfeldanordnung – einen sogenannten Divertor, der die äußere Randschicht des Plasmas in Nebenkammern lenkt, wo die Plasmateilchen abgepumpt werden. Auf diese Weise sollten Verunreinigungen aus dem Plasma entfernt werden. Zugleich hüllt die Randschicht das zentrale Plasma wie ein wärmender Mantel ein, so daß außerdem eine gute Wärmeisolation des Brennstoffes erreicht wird.

H-Regime an Wendelstein 7-AS
Zum ersten Mal wurde nun auch bei einem Stellarator, dem Wendelstein 7-AS, das H-Regime beobachtet. „Kein Zweifel, es ist der H-Übergang; alle seine charakteristischen Erscheinungen sind vorhanden“, bestätigt der Projektleiter Dr. Friedrich Wagner der überraschten Tokamak-Gemeinde das Ergebnis. Allerdings ist die Einschlußverbesserung – mit dreißig Prozent – längst nicht so ausgeprägt wie bei Tokamaks. „Noch nicht“, meint Dr. Wagner, und verweist auf die unterschiedliche Größe und Form des Plasmarandes bei heutigen Tokamaks und dem vergleichsweise kleinen, divertorlosen Wendelstein 7-AS. „Auch in Tokamaks ohne Divertor gibt es ein H-Regime, allerdings so schlecht, daß man genau hinsehen muß, um es wahrnehmen zu können“.

Durch diese verheißungsvollen Aussichten unterscheidet sich das H-Regime der Stellaratoren von den übrigen Stellaratorzuständen mit verbesserter Wärmeisolation: Die Erfahrung mit Tokamaks läßt auch bei Stellaratoren auf die volle Steigerung der Wärmedämmung hoffen, sobald man mit leistungsfähigem Divertor arbeitet.

Das Auftreten des H-Regimes in Stellaratoren könnte auch für die Tokamaks von Bedeutung sein: „Das H-Regime erscheint nun als universale Eigenschaft. Die Physik der Wärmeisolation in Tokamaks und Stellaratoren ist offensichtlich verwandt“, erklärt Dr. Erckmann, der das Wendelstein-Ergebnis kürzlich auf der 14. Internationalen Konferenz über Plasmaphysik und Kontrollierte Kernfusion in Würzburg vorstellte. Bis heute ist die Wärmeleitung im Plasma nicht völlig verstanden. Daher gibt es zwar erprobte Rezepte, aber keine exakte Theorie für den wichtigen Wärme-Einschluß. „Mit dem H-Regime in Stellaratoren könnte sich das ändern“, meint Dr. Erckmann. Erste Anzeichen hierfür waren bereits auf der Konferenz am großen Interesse der Plasmatheoretiker zu spüren, die ihre Erklärungen des Tokamak-H-Regimes im Vergleich mit den plötzlich bedeutungsvoll gewordenen Stellarator-Daten testen wollten. Zum Beispiel sind nun alle Theorien hinfällig, die dem Plasmastrom der Tokamaks eine Bedeutung für das Zustandekommen des H-Regimes zuweisen.

Der seit 1988 arbeitende Wendelstein 7-AS ist der erste Stellarator der neuen Generation der „Advanced Stellarators“. Er untersucht ein im IPP entwickeltes Konzept für ein physikalisch verbessertes Magnetfeld, das durch ebenfalls neuartige, nicht-ebene Magnetspulen erzeugt wird. Daß das H-Regime gerade jetzt beobachtet werden konnte, ist ein Beispiel für den Nutzen der Zusammenarbeit in der Fusionsforschung: Seit Anfang des Jahres wurde eine neue Anlage zum Aufheizen des Plasmas benutzt, ein Hochleistungs-Mikrowellensender, der im Institut für Angewandte Physik in Nishny Novgorod/Rußland entwickelt wurde. Die neue Heizung konnte erstmals bei Plasmen höherer Dichte benutzt werden. Ausreichende Plasmadichte ist aber eine der Voraussetzungen für den Übergang in das H-Regime. Außerdem waren die Wände mit Bor beschichtet – ein im Forschungszentrum Jülich entwickeltes Verfahren, das für saubere Plasmen sorgt.

Pläne
Während Wendelstein 7-AS das Konzept der Advanced Stellarators einem ersten Test unterzieht, laufen bereits die Planungen für einen größeren Nachfolger, den vollständig optimierten Wendelstein 7-X, der die Reaktortauglichkeit der neuen Stellaratoren demonstrieren soll. Anders als der Vorgänger soll das Experiment von vorneherein mit Divertor ausgerüstet werden, so daß ideale Voraussetzungen für das H-Regime geschaffen sind. Obendrein werden die Divertoreigenschaften des Feldes alleine durch die einschließenden Stellaratorspulen erzeugt; zusätzliche Divertorspulen – wie bei Tokamaks – sind nicht nötig. Vorversuche hierzu sollen bei Wendelstein 7-AS beginnen. Aber auch die Ergebnisse von Divertor-Tokamaks, die auf die Physik der Randschicht und Teilchenabfuhr spezialisiert sind, wie das IPP-Experiment ASDEX Upgrade, werden in die Weiterentwicklung einfließen. Schließlich wird die Zusammenarbeit mit den russischen Partnern fortgesetzt. Demnächst soll die Leistungsfähigkeit des Stellaratorplasmas im H-Regime bei nochmals höheren Heizleistungen untersucht werden.

Anders als bei Tokamaks steigt bei Stellaratoren die Wärmeisolation mit wachsender Plasmadichte. Neben dem H-Regime wird Wendelstein 7-X auch diesen Stellarator-Weg zu besserem Einschluß untersuchen. Schließlich sollen die Optimierungsprinzipien selbst für eine wesentliche Senkung der Wärmeleitung sorgen. All dies sollte Wendelstein 7-X in die Lage versetzen, die Stellaratoren als aussichtsreiche Reaktorkandidaten auszuweisen.

Isabella Milch

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