Fusionsexperiment Wendelstein 7-AS in Betrieb

Das erste Plasma in einem „Advanced Stellarator“ / Stellaratoren im Europäischen Fusionsprogramm

12. Oktober 1988

Am 4. Oktober 1988 leuchtete das erste Plasma in Wendelstein 7-AS, dem neuen Fusionsexperiment des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München. Nach sechsjähriger Planungs-und Bauzeit hat damit der wissenschaftliche Experimentierbetrieb an dem ersten Stellarator der neuen, „fortgeschrittenen“ Generation der „Advanced Stellarators“ begonnen.

Ziel des Experimentes ist es, die im IPP entwickelten Optimierungs-Prinzipien solcher Stellaratoren zu testen. Von bisherigen Anlagen unterscheidet sich Wendelstein 7-AS nämlich durch ein neuberechnetes, physikalisch verbessertes Magnetfeld, das durch ein ebenfalls neuartiges, modulares Magnetspulensystem erzeugt wird. Diese Weiterentwicklungen sind durch die neuen großen und schnellen Rechenmaschinen möglich geworden, die erst seit einiger Zeit verfügbar sind. Falls sich die physikalischen und technologischen Innovationen an Wendelstein 7-AS bewähren, soll in einer darauffolgenden größeren Anlage schließlich die Reaktortauglichkeit der Stellaratoren bewiesen werden.

Ein zukünftiger Fusionsreaktor soll Energie aus der Verschmelzung von Atomkernen gewinnen. Zum Zünden des Fusionsfeuers wird der Brennstoff – ein dünnes, ionisiertes Gas („Plasma“) aus den beiden Wasserstoffarten Deuterium und Tritium – auf hohe Temperaturen aufgeheizt. Bei ausreichender Wärmeisolation beginnt das Plasma oberhalb von 100 Millionen Grad zu brennen: Die Wasserstoffkerne verschmelzen miteinander zu Helium, wobei nutzbare Energie freigesetzt wird.

Die Stellarator-Strategie des Europäischen Fusionsprogramms
Wegen seiner hohen Temperatur kann man das Fusionsplasma nicht unmittelbar in materiellen Gefäßen einschließen. Die Gefäßwände würden von dem heißen Plasma beschädigt, das sich dabei zugleich abkühlen würde. Stattdessen benutzt man einen immateriellen Magnetfeldkäfig, um die geladenen Plasmateilchen im Innern eines ringförmigen Vakuumgefäßes in Schwebe zu halten. Dies ist auf zweierlei Art und Weise möglich: In Fusionsexperimenten vom Typ Stellarator wird das isolierende Magnetfeld allein von außen, durch Magnetspulen erzeugt, die auf das Plasmagefäß aufgefädelt werden. In Fusionsexperimenten vom Typ Tokamak dagegen wird ein Teil des Feldes von einem starken elektrischen Kreisstrom hergestellt, der im Zentrum des Plasmaringes fließt. Da der Strom neben dem Einschluß des Plasmas auch dessen Anfangsheizung bewirkt, galt das Tokamak-Prinzip zunächst zum Experimentieren als besonders einfach. Weltweit sind die meisten der heute betriebenen Fusionsexperimente daher vom Typ Tokamak. Alle großen Fusionsprogramme der Welt - in den USA, Japan, der Sowjetunion und Europa – untersuchen jedoch auch die Stellaratoren.

Als einziges Institut in Europa studiert das IPP – mit dem Tokamak ASDEX und den Stellaratoren der Wendelstein-Serie – beide Experimenttypen parallel zueinander. Inzwischen zeichnet sich ab, daß das Stellarator-Prinzip gerade dort Stärken erwarten läßt, wo die erfolgreichen Tokamaks Schwächen aufweisen. Da die Stellaratoren zum Aufbau des Magnetfeldes ohne Plasmastrom auskommen, fallen bei ihnen alle mit dem Plasmastrom der Tokamaks verbundenen Unannehmlichkeiten weg: Es werden keine Apparaturen benötigt zum Herstellen und Kontrollieren des Stroms, Stromabbrüche können nicht auftreten und das Plasma liegt ohne Lageregelung stabil. Außerdem sind Stellaratoren von vornherein für Dauerbetrieb geeignet, anders als Tokamaks, die ohne spezielle Zusatzeinrichtungen nur pulsweise arbeiten können. Unter dem immer mehr an Bedeutung gewinnenden Gesichtspunkt der Reaktortechnologie betrachtet, könnten Stellaratoren also die technisch einfachere Lösung sein. Auf theoretischem Wege ist diese Frage nicht zuverlässig genug zu beantworten; sie experimentell zu entscheiden, ist das Ziel der Wendelstein-Experimente des IPP.

Advanced Stellarators
Bei der Konzeption bisheriger Stellaratoren hatte man sich vor allem für das physikalisch-technische Problem interessiert, das Plasma ohne Plasmastrom einzuschließen. Das erzeugte Magnetfeld formte man der Einfachheit halber möglichst kreissymmetrisch. Damit ähnelte der Magnetfeldkäfig der Stellaratoren zunächst noch dem der Tokamaks, bei denen der Kreisstrom im Plasma eine Kreissymmetrie der ganzen Konfiguration zur Folge hat. Anders als Tokamaks sind Stellaratoren ihrer Natur nach aber auf nicht-kreissymmetrische Felder angewiesen. Nutzt man diese Eigenschaft aus, so öffnet sich ein neuer, weiter Raum möglicher Stellarator-Konfigurationen, unter denen nun – mit erheblichem Theorie- und Rechenaufwand – die besten, d.h. unter dem Einfluß des Plasmas stabilsten und wärmeisolierendsten Felder ausgewählt werden können: „Advanced Stellarators“.

Wendelstein 7-AS ist das erste Experiment, bei dem Überlegungen dieser Art am Anfang der Planung standen. Der Bau wurde beschlossen, als die Grundzüge der neuen Optimierung theoretisch klar waren und nun der experimentellen Nachprüfung bedurften. Nachdem das gewünschte, im Detail modellierte Feld bekannt war, wurde auf die Magnetspulen zurückgerechnet, die die verlangte Konfiguration erzeugen können. Hierbei hat man sich – neben der physikalischen Optimierung des Feldes – auch für ein technisch optimiertes Spulenkonzept entschieden: Die bisherige Methode, mehrere einfache Spulensysteme miteinander zu verkoppeln, ist zwar sehr nützlich für den Experimentator, aber weder für die angestrebte Feinmodellierung des Feldes noch für einen späteren Reaktor brauchbar. In Wendelstein 7-AS wird daher der gesamte Magnetfeldkäfig durch einen einzigen Satz von 45 Einzelspulen erzeugt. Da sie alleine ein ähnliches Feld erzeugen sollen, wie die bisherigen Spulensysteme zusammen, besitzen die neuen Wendelstein-Spulen eine geometrisch anspruchsvolle, nichtebene Gestalt – eine besondere Herausforderung an konstruierende Ingenieure und zuliefernde Industrie (vgl. Presseinformation 4/87). Sehr erleichternd für die Fertigung war hierbei, daß das Stellaratorplasma auf kleine räumliche Abweichungen von der berechneten Maschinengeometrie tolerant reagiert, wenn nur die Symmetrie der Anordnung gewahrt bleibt. Deshalb reichen Fertigungstoleranzen aus, wie sie im normalen Präzisions-Großmaschinenbau üblich sind. So wurden zwar teilweise neuartige Herstellungsverfahren nötig, die aber einfach genug und damit wirtschaftlich blieben.

Nach Durchlaufen aller Schritte zur Planung, Konstruktion, Herstellung und Montage der 250 Tonnen schweren Maschine war vor allem zu prüfen, ob die 45, zu einem Kranz zusammengefügten Spulen in dem fertigen Experiment das gewünschte Magnetfeld erzeugen. Die nötigen Messungen ab Mai 1988 liefen in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universität Stuttgart, die eine neue Technik zur schnellen Ausmessung des Feldraumes entwickelt hatten: Die Ergebnisse zeigten, daß berechnetes und vor. den Spulen produziertes Feld bis in feinste Details übereinstimmten. Der Aufbau der gesamten Apparatur war innerhalb der vorgegebenen Toleranzen äußerst genau gelungen. Die Möglichkeit, die neuartigen Spulensysteme technisch zu beherrschen und wirtschaftlich herzustellen, kann damit als erwiesen gelten. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für die Weiterentwicklung des Stellarators zu größeren und – mit Verbesserungen der Theorie – weiter optimierten magnetischen Konfigurationen.

Wendelstein 7-X
Parallel zum Bau von Wendelstein 7-AS wurden im IPP die numerischen und theoretischen Stellaratorstudien intensiv weitergeführt. In Wendelstein 7-AS sind die Prinzipien der Optimierung nämlich nur begrenzt angewandt. Zum einen wollte man möglichst früh vor dem Bau eines größeren Experimentes die Grundzüge der neuen Theorie einem ersten experimentellen Test unterwerfen, zum anderen sollte die neue Apparatur aus Kostengründen möglichst viele Bauteile des Vorgängers verwenden. Seit der Konzeptentscheidung für Wendelstein 7-AS im Jahre 1982 hat die Stellaratortheorie nochmals große Fortschritte gemacht. So ist die Hoffnung begründet, mit dem nachfolgenden, weiter optimierten Stellaratorexperiment Wendelstein 7-X die Reaktortauglichkeit des neuen Stellaratorkonzepts demonstrieren zu können. Da sich die Eigenschaften eines gezündeten Plasmas vom Tokamak in großen Teilen auf Stellaratoren übertragen lassen, ist es nicht unbedingt nötig, Wendelstein 7-X mit brennendem Fusionsplasma zu planen. Das Experiment wird daher –mit erheblicher Kostenersparnis – zwar Plasmawerte nahe der Zündung anstreben, aber auf den Einsatz des Fusionsbrennstoffes Tritium verzichten. Aufbauend auf dem jetzt in Betrieb gegangenen Vorläufer sollte Wendelstein 7-X dann in der Lage sein, die Stellaratoren als attraktive Alternative auf das Niveau der bislang favorisierten Tokamaks zu heben. Falls sich die neuen Optimierungsprinzipien in den Wendelstein-Experimenten bewähren, könnte der Demonstrationsreaktor, der auf die jetzt geplanten reaktorähnlichen Experimente im Tokamakbereich – NET oder ITER – folgen soll, dann auch ein Stellarator sein.

Isabella Milch

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