Experimente mit dem Manipulatorsystem DIM-II im Divertor von ASDEX Upgrade

Forschungsbericht (importiert) 2016 - Max-Planck-Institut für Plasmaphysik

Autoren
Herrmann, Albrecht; Krieger, Karl
Abteilungen
„Tokamak-Szenario-Entwicklung“ & „Plasmarand und Wand“
DOI
Zusammenfassung
Der Divertor – speziell ausgerüstete und gekühlte Prallplatten am Boden des Plasmagefäßes, auf die Teilchen aus dem Rand des Plasmas abgelenkt werden – führt in einem späteren Fusionskraftwerk einen Teil der erzeugten Fusions­energie sowie die Helium-Asche ab. Mit dem Divertormanipulator DIM-II wird dies an der Fusionsanlage ASDEX Upgrade vorbereitet. Mit DIM-II können Teile des Divertors untersucht und ausgetauscht werden, ohne das Plasmagefäß zu öffnen. Damit lassen sich Plasma-Material-Wechselwirkungen an den Prallplatten untersuchen und Konzepte für aktiv gekühlte Prallplatten testen.

Der Tokamak ASDEX Upgrade im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching ist ein Experiment zur Erforschung der kontrollierten Kernfusion. Das gegenwärtig fortschrittlichste Konzept zur Energieerzeugung aus Kernfusionsreaktionen bedient sich der Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium als Brennstoffe, wobei letzteres aus dem Metall Lithium erbrütet wird. Da die Grundstoffe in großen Mengen vorhanden sind und die Energieausbeute der Fusionsreaktion rund zehn Millionen mal höher ist als die fossiler Brennstoffe, stellt die Kernfusion eine attraktive Option zur langfristigen Energieversorgung dar.

Bedingungen für die Fusion

Für eine selbstständig fortlaufende Fusionsreaktion müssen die Brennstoffe Deuterium und Tritium bei Temperaturen um 100 Millionen Grad unter ausreichender Dichte und Wärmeisolation zusammengebracht werden. Bei diesen Temperaturen kann die Reaktion nicht in Kontakt mit materiellen Wänden ablaufen, da der Brennstoff sofort abkühlen und zudem die Wände beschädigen würde. Um dies zu vermeiden, macht man sich zunutze, dass die Brennstoffe bei hoher Temperatur als elektrisch leitendes Plasma vorliegen. In einem geeigneten Magnetfeld kann es daher ohne direkten Kontakt zu den Wänden der Reaktionskammer eingeschlossen werden.

In einem späteren Kraftwerk werden rund 80 Prozent der erzeugten Energie durch die bei der Fusionsreaktion freiwerdenden Neutronen aus dem Reaktionsvolumen abgeführt. Im „Blanket“, einem das Gefäß umgebenden Mantel, wird sie durch Stöße der Neutronen mit dem Blanketmaterial in Nutzwärme umgewandelt. Die restliche Reaktionsenergie wird in Form von schnellen Helium-Atomkernen freigesetzt, die das brennende Plasma heizen und damit die hohe Reaktionstemperatur aufrechterhalten. Sowohl diese Heizleistung als auch die Helium-Asche müssen fortlaufend aus dem Reaktionsvolumen entfernt werden. Dazu werden die Magnetfeldlinien am Rand des Plasmas mittels geeigneter Feldspulen in den sogenannten Divertor abgelenkt: Das aus dem Reaktionsvolumen diffundierende Plasma strömt entlang der Feldlinien auf im Divertor eingebaute Prallplatten, wo es seine Restenergie abgibt. Diese wird durch Kühlung abgeführt, während die neutralisierten Plasmaionen durch leistungsfähige Pumpen abgesaugt werden.

Für die Prallplatten, auch Targets genannt, hat sich aufgrund der am Plasmarand immer noch hohen Plasmatemperaturen bis zu 100.000 Grad Celsius und der hohen stationären Leistungsflüsse von bis zu 20 MW/m2 Wolfram als das am besten geeignete Material erwiesen. Die Platten müssen so ausgelegt werden, dass sie die vom Plasma in den Divertor transportierte Energie abführen können. Dafür müssen einerseits die technischen Konzepte für die Targetkühlung erarbeitet und erprobt werden. Andererseits muss das Plasma soweit abgekühlt sein, dass die technischen Grenzwerte nicht überschritten werden. In einem Fusionskraftwerk mit stationärem Plasmabetrieb wird die Leistung auf die Targets durch aktive Kühlung kontinuierlich abgeführt. ASDEX Upgrade als Forschungsanlage arbeitet dagegen gepulst mit Pulslängen von rund 10 Sekunden. Das vereinfacht den technischen Aufbau und gestattet es, mit passiv gekühlten Strukturen zu arbeiten: Die Energie aus dem Plasma wird durch Aufheizen der Targets zwischengespeichert und nach dem Pulsende über einen längeren Zeitraum von etwa 5 Minuten in eine wassergekühlte Tragestruktur abgeführt.

Der Divertormanipulator

Um auch mit ASDEX Upgrade zur technischen Entwicklung aktiv gekühlter Targets beitragen zu können, wurde ein Umbau des Divertors im Jahr 2013 genutzt, um einen Divertormanipulator zu integrieren. Die DIM-II genannte Vorrichtung gestattet es, ganze Teile des Divertors ohne eine Öffnung des Vakuumgefäßes zu untersuchen und auch auszutauschen [1]. Damit wurden sowohl gezielte Experimente zur Untersuchung des Plasmas an den Targets möglich als auch Tests von Konzepten für aktiv gekühlte Targets. 

Der Divertormanipulator selbst besteht aus drei Einheiten (Abb. 1), dem sogenannten Front-end, dem Transfersystem und der Targetwechselbox einschließlich Verfahrantrieb [2]. Das Front-end ist Teil des Divertors und Herzstück des DIM-II. Es kann die verschiedensten Proben und Messeinrichtungen aufnehmen – von leicht modifizierten Standardtargets zur Untersuchung von Erosions- und Depositionsprozessen bis hin zu sehr speziellen Messeinrichtungen, zum Beispiel ein integriertes Drehmagazin für Probenwechsel zwischen aufeinanderfolgenden Entladungen oder elektrische Sonden zur Vermessung der Plasmaparameter und des lokalen Leistungsflusses. Auch aktiv gekühlte bzw. beheizte Targets können zu Testzwecken dem Plasma ausgesetzt werden. Ein eigener Wärmetauscher für den Divertormanipulator sorgt mit genügend hohem Wasserdurchfluss für eine aktive Kühlung. Der einstellbare Temperaturbereich liegt zwischen der Umgebungstemperatur des Divertors von rund 20 Grad Celsius und 220 Grad Celsius. Im Zusammenspiel mit dem High-Heat-Flux-Teststand GLADIS [3] ist es somit im IPP erstmals möglich, Targets zunächst in GLADIS bezüglich ihres thermischen Verhaltens zu qualifizieren und sie anschließend in einem tatsächlichen, fusionsrelevanten Plasma zu exponieren.

Das Transfersystem besteht aus einem auf Schienen geführten Wagen, der über eine Schubstange luftseitig bewegt wird. Der Verfahrweg beträgt etwa drei Meter. Der Zugang zum Divertor ist durch den Querschnitt der Vakuumports limitiert. Um trotzdem einen möglichst großen Teil des Divertors wechseln zu können, wird das Front-end zum Transport gekippt. Die Kippvorrichtung ist in die eigentliche Divertorstruktur integriert und gewährleistet die exakte Positionierung des Front-ends bezüglich der übrigen Divertorplatten. So unterliegen die Messeinrichtungen auf dem Front-end exakt den gleichen Plasmabedingungen wie der übrige Divertor.

Ist das Front-end bis in die Wechselbox zurückgezogen, kann es – in der Zeit zwischen zwei Plasmaentladungen – über dort angebrachte Vakuumfenster inspiziert werden. Zum Austausch von Targets oder des gesamten Front-ends muss die Wechselbox geöffnet werden. Sie wird hierfür vom Hauptvakuum abgetrennt und belüftet. Nach dem Targetwechsel wird das Vakuum wieder hergestellt, um anschließend das Front-end erneut im Divertor zu positionieren. Der Wechsel dauert rund 6 Stunden, was im Wesentlichen durch die Abpumpzeit bestimmt wird.

Weil das DIM-II-System Bestandteil des Divertors ist, ist kein Experimentierbetrieb möglich, wenn das Front-end nicht positioniert ist. Daher wurde DIM-II vor dem Einsatz an ASDEX Upgrade in einem Teststand ausgiebig getestet. Der Teststand dient auch dazu, die Funktion und die mechanische Zuverlässigkeit neu aufgebauter Messeinrichtungen zu überprüfen. Seit der Inbetriebnahme von DIM-II liefen rund 2.700 Plasmaentladungen mit einer großen Bandbreite physikalischer Experimente. Die im Folgenden beschriebene Untersuchung an Targetplatten bei transienter thermischer Überlastung ist ein Beispiel für die Leistungsfähigkeit des DIM-II-Systems.

ELM-Experimente

Unter den zur Energieerzeugung relevanten Plasmabedingungen können magnetohydrodynamische Instabilitäten am Plasmarand – sogenannte Edge-localised modes, kurz ELMs – kurzzeitige, periodisch auftretende Leistungsspitzen von rund einer Millisekunde Dauer hervorrufen. Ihr Energieinhalt wächst mit der Plasmagröße und ist bei großen Anlagen wie dem geplanten Testreaktor ITER ausreichend, die Wolframdivertorplatten an der Oberfläche anzuschmelzen [4].

Auch wenn die Energie der ELMs mittlerweile durch geeignete Maßnahmen soweit reduziert werden kann, dass keine Materialschäden auftreten, ist im Fehlerfall mit einem kurzzeitigen ungewollten Anschmelzen zu rechnen. Die damit einhergehenden Schäden an den Targetplatten sowie die mögliche Freisetzung von Schmelztropfen in die Plasmaentladung, die diese erheblich stören können, werden daher an ASDEX Upgrade intensiv untersucht. Experimente, die mit Schmelzschäden an den eingebauten Divertortargets einhergehen, würden den weiteren Betrieb der Anlage ohne zeitaufwendigen Austausch unmöglich machen. Diese Beschränkung kann man jedoch mit dem DIM-II-System umgehen, da nun die bei dem Experiment beschädigten Komponenten zwischen zwei Experimentiertagen ausgetauscht werden können.

Um die Veränderungen zu untersuchen, die bei wiederholtem transienten Aufschmelzen durch ELMs auftreten, wurde der Standardprobenkopf des Divertormanipulators so erweitert, dass instrumentierte Proben in ein Target eingebaut werden können. Die elektrisch isoliert eingebauten Proben wurden kontaktiert, um den Stromfluss vom Plasma durch die Oberfläche zum Vakuumgefäß messen zu können. Darüber hinaus können Thermoelemente den Temperaturverlauf an der Rückseite der Proben während und nach einer Plasmaentladung aufnehmen. Um auch bei den – im Vergleich zum ITER-Experiment – kleineren ELM-Leistungsspitzen in ASDEX Upgrade transientes Anschmelzen zu erreichen, wurden die Proben mit Oberflächen versehen, die gegen den Plasmafluss angestellt sind. Dies erhöht den Auftreffwinkel der Magnetfeldlinien und damit den Leistungsfluss (Abb. 2).

Bei einer der beiden Proben war die exponierte Fläche senkrecht zum einfallenden Feld angeordnet, um den Leistungsfluss zu maximieren, während die entsprechende Fläche der anderen Probe nur geringfügig, um einen Winkel von 15°, angeschrägt war. Beide Geometrien waren identisch zu den bei vorangegangenen Experimenten am größeren Tokamak JET verwendeten Probenformen gewählt, um einen direkten Vergleich zu ermöglichen. Ziel war es, zunächst das für die Berechnung des auftreffenden Leistungsflusses verwendete Modell zu verifizieren, wonach er sich aus der geometrischen Projektion des Leistungsflusses parallel zu den Magnetfeldlinien auf die Oberfläche ergibt. In den Schmelzexperimenten bei JET wurde dies experimentell mittels Infrarotthermografie gemessen, wobei sich zunächst Diskrepanzen zu dem geometrischen Modell zeigten [5]. Im Experiment an ASDEX Upgrade konnten diese Diskrepanzen allerdings nicht bestätigt werden. Die in die Proben während der Plasmaentladung eingebrachte Energie stimmte im Rahmen der Messgenauigkeit mit den erwarteten Werten aus den Thermographiemessungen des Leistungsflusses überein. In der Tat konnten mittlerweile die an JET beobachteten Diskrepanzen durch eine detailliertere Auswertung aufgelöst werden [6].

Das Hauptziel der Experimente an ASDEX Upgrade bestand im Nachweis und der quantitativen Messung des thermionischen Emissionsstroms. Dieser fließt, vereinfacht gesagt, durch das Verdampfen von Elektronen aus dem Festkörper bei hohen Temperaturen. Die Wechselwirkung dieses Stroms mit dem toroidalen Magnetfeld erzeugt eine Kraft auf die Probe.

Modellrechnungen zeigen, dass die Dynamik der dünnen Schmelzschicht im Wesentlichen durch diese Kraft bestimmt ist. In den Experimenten konnten – durch vergleichende Messung des Stroms mittels bündig eingebauter Proben und durch die entsprechenden Schmelzproben – die aus dem Plasma stammenden Stromanteile separiert werden (Abb. 3). Damit konnte erstmals der direkte Zusammenhang zwischen transienten ELM-Leistungsspitzen und thermionischer Stromemission nachgewiesen und quantifiziert werden.

Nach dem Experiment wurden die Proben entnommen und die Veränderungen untersucht, die durch die Schmelzprozesse und die damit einhergehende Bewegung der Schmelzschicht verursacht worden waren (Abb. 4). Die Morphologie der wiedererstarrten Schmelze an der Oberfläche stimmt sowohl mit der des JET-Experiments als auch sehr gut mit den Vorhersagen entsprechender Computersimulationen überein [5]. Damit konnte die Vorhersagekraft des verwendeten Codes für das ITER-Experiment wesentlich verbessert werden.

Literaturhinweise

1.
Herrmann, A.; Greuner, H.; Jaksic, N.; Balden, M.; Kallenbach, A.; Krieger, K.; de Marné, P.; Rohde, V.; Scarabosio, A.; Schall, G.; the ASDEX Upgrade Team
Solid tungsten Divertor-III for ASDEX Upgrade and contributions to ITER
Nuclear Fusion 55, 063015 (2015)
2.
Herrmann, A.; Jaksic, N.; Leitenstern, P.; Greuner, H.; Krieger, K.; de Marné, P.; Oberkofler, M.; Rohde, V.; Schall, G.;the ASDEX Upgrade team
A large divertor manipulator for ASDEX Upgrade
Fusion Engineering and Design 98-99, 1496-1499 (2015)
3.
Greuner, H.; Boeswirth, B.; Boscary, J.; McNeely, P.
High heat flux facility GLADIS: Operational characteristics and results of W7-X pre-series target tests
Journal of Nuclear Materials 367-370, 1444-1448 (2007)
4.
Eich, T.; Leonard, A. W.; Pitts, R. A.; Fundamenski, W.; Goldston, R. J.; Gray, T. K.; Herrmann, A.; Kirk, A.; Kallenbach, A.; Kardaun, O.; Kukushkin, A. S.; LaBombard, B.; Maingi, R.; Makowski, M. A.; Scarabosio, A.; Sieglin, B.; Terry, J.; Thornton, A.; ASDEX Upgrade Team; JET EFDA Contributors
Scaling of the tokamak near the scrape-off layer H-mode power width and implications for ITER
Nuclear Fusion 53, 093031 (2013)
5.
Coenen, J. W.; Arnoux, G.; Bazylev, B.; Matthews, G. F.; Autricque, A.; Balboa, I.; Clever, M.; Dejarnac, R.; Coffey, I.; Corre, Y.; Devaux, S.; Frassinetti, L.; Gauthier, E.; Horacek, J.; Jachmich, S.; Komm, M.; Knaup, M.; Krieger, K.; Marsen, S.; Meigs, A.; Mertens, Ph.; Pitts, R. A.; Puetterich, T.; Rack, M.; Stamp, M.; Sergienko, G.; Tamain, P.; Thompson, V.; JET-EFDA Contributors
ELM-induced transient tungsten melting in the JET divertor
Nuclear Fusion 55, 023010 (2015)
6.
Iglesias, D. et al.
Virtual prototyping tools for the JET divertor

29th Symposium on Fusion Technology (SOFT), Prague, Czech Republic (2016)

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