Neue Einsatzbereiche der Mikrowellenheizung an ASDEX Upgrade

Forschungsbericht (importiert) 2010 - Max-Planck-Institut für Plasmaphysik

Autoren
Zohm, Hartmut; Stober, Jörg
Abteilungen
Bereich Tokamak-Szenario-Entwicklung
Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Garching
Zusammenfassung
Das bisher vorwiegend zur Elektronenheizung in Fusionsplasmen eingesetzte Verfahren mit Millimeterwellen ist hinsichtlich der Plasmadichte begrenzt. Im Tokamakexperiment ASDEX Upgrade wurden in den letzten Jahren am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching Verfahren entwickelt, die eine effiziente Heizung der Elektronen auch bei höheren Plasmadichten ermöglichen. Sie sind nicht nur wichtig für die Erweiterung des Betriebsbereiches von ASDEX Upgrade, sondern könnten auch am Stellarator Wendelstein 7-X eingesetzt werden, der zurzeit im IPP-Teilinstitut Greifswald gebaut wird.

In Fusionsanlagen werden Wasserstoffplasmen in toroidaler Magnetfeldgeometrie eingeschlossen und auf Temperaturen aufgeheizt, die über den im Sonneninneren herrschenden Werten liegen. So wurden am Tokamakexperiment ASDEX Upgrade, das vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching betrieben wird, bereits zentrale Plasmatemperaturen von über 200 Millionen Grad erreicht. In einem Deuterium-Tritium-Plasma fusionieren bei solchen Temperaturen die Wasserstoffkerne miteinander zu Helium, was in künftigen Fusionskraftwerken zur Energiegewinnung benutzt werden soll. In den heutigen Experimenten am IPP geht es dagegen um die Untersuchung der nichtlinearen Vorgänge in nahezu stoßfreien Plasmen.

Zum Erreichen der hohen Temperaturen benötigt man effiziente Methoden zur Plasmaheizung. Als besonders geeignet hat sich dabei in den letzten Jahren die Heizung der Elektronen bei der Elektronen-Zyklotron-Resonanzfrequenz (ECRH = Electron Cyclotron Resonance Heating) erwiesen. Hierbei strahlt man Wellen ins Plasma ein, deren Frequenz der Gyrationsfrequenz der Elektronen im Magnetfeld entspricht. Bei den an ASDEX Upgrade verwendeten Feldern im Bereich von 2 bis 3 Tesla bedeutet dies Frequenzen im Bereich um 100 Gigahertz, d. h. Millimeterwellen. Beim bisher meist verwendeten Heizverfahren bei der zweiten Harmonischen wird die Welle bei Erfüllung der Resonanzbedingung praktisch vollständig absorbiert, was eine sehr effiziente Heizung garantiert. Da im Torus das einschließende Magnetfeld entlang des großen Radius abfällt, ist die sehr gute Absorption zugleich mit einer ausgeprägten Lokalisierung der Heizleistung verbunden. Sie führt im Experiment zu einer hohen Flexibilität, da über eine Variation des Magnetfelds die Position der Heizquelle in Plasma sehr genau gesteuert werden kann. Dabei strahlt man die Millimeterwellen so ein, dass ihr elektrischer Feldvektor senkrecht zum einschließenden statischen Magnetfeld gerichtet ist. Diese außerordentliche Welle („extraordinary mode“ = X-Mode) kann sich im Plasma ungehindert ausbreiten, solange ihre Frequenz oberhalb der sogenannten Cut-Off-Frequenz liegt. Diese wiederum steigt mit dem Wert des einschließenden Magnetfelds sowie der Elektronendichte des Plasmas. Ist die Dichte so hoch, dass die Cut-Off-Frequenz gleich der Frequenz der Heizwelle ist, wird die Welle reflektiert und kann nicht zum Ort der Absorption vordringen. Die Heizung mit der außerordentlichen Welle bei der zweiten Harmonischen (X2-Mode) ist daher in ihrer Anwendbarkeit nach oben hin durch die Dichte beschränkt.

Um trotzdem bei höheren Dichten heizen zu können, wurden in den letzten Jahren an ASDEX Upgrade zwei alternative ECRH-Verfahren untersucht. Einmal kann man eine außerordentliche Welle einschießen, deren Frequenz der dritten Harmonischen der Gyrationsbewegung der Elektronen im Magnetfeld entspricht (X3-Mode). Für ein gegebenes Magnetfeld ist dann die maximale Dichte, bei der sich die Welle noch im Plasma ausbreiten kann, um einen Faktor 1,5 höher als bei der X2-Mode. Andererseits kann die Polarisation der Welle so gewählt werden, dass der elektrische Feldvektor der Welle in Richtung des einschließenden statischen Magnetfelds zeigt ("ordinary mode" = O-Mode). Hier ist die maximale Dichte um einen Faktor 2 höher als bei der X2-Mode. Ein drittes Verfahren, das sich der Wellenkonversion in sogenannte Bernsteinwellen bedient, wird an dem kleinen WEGA-Stellarator im IPP-Teilinstitut Greifswald untersucht (siehe Bericht von H. Laqua und M. Otte in diesem Jahrbuch).

Die beiden an ASDEX Upgrade verfolgten Ansätze haben einen entscheidenden Nachteil gegenüber der Heizung mit der X2-Mode: Für die in ASDEX Upgrade typischen Dichten und Temperaturen ist die Absorption nicht mehr vollständig, sondern typischerweise auf 70% bis 90% beschränkt. Bei den an ASDEX Upgrade verwendeten hohen Heizleistungen im Bereich mehrerer Megawatt bedeutet dies, dass die nicht absorbierte Leistung der Streustrahlung das Plasmagefäß stark belastet. Dies kann zur Beschädigung von Einbauten führen. Besonders gefährdet sind Diagnostiken, die Signale im Millimeterwellenbereich detektieren, da sie im Normalbetrieb auf die Detektion von Plasma-Strahlung im Milliwatt-Leistungsbereich und darunter ausgelegt sind.

Für beide Ansätze, O2- und X3-Mode, gelang es aber an ASDEX Upgrade, die Absorption zu erhöhen und somit mögliche Schäden durch vagabundierende Millimeterwellenleistung zu vermeiden. Für die X3-Mode bedient man sich dafür der bekannt guten Absorption der X2-Mode: Bei geeigneter Wahl des Magnetfelds kann man nämlich erreichen, dass sowohl die dritte als auch die zweite harmonische Resonanz im Plasma liegen. Dies ist in Abbildung 1 dargestellt. Der ins Plasma eindringende Millimeterwellenstrahl (blaue Linien) erreicht die dritte Harmonische in der Nähe des Plasmazentrums und deponiert dort einen Teil seiner Leistung. Die nicht absorbierte Leistung trifft noch im Plasma auf die zweite Harmonische, wo sie fast vollständig absorbiert wird. Mit diesem Verfahren lassen sich die Elektronen an ASDEX Upgrade effizient aufheizen. Da die Absorption bei der dritten Harmonischen mit der Elektronentemperatur steigt, kann sogar ein selbstverstärkender Effekt eintreten, bei dem die anfänglich im Zentrum deponierte Leistung die Absorption erhöht und so wiederum zu einer höheren Temperatur führt. Auch hierfür wurden im Experiment Anzeichen gesehen.

Im Falle der O2-Mode funktioniert dieses Verfahren offensichtlich nicht, da die Polarisation der Welle anders ist. Der nicht absorbierte Teil der Millimeterwellenheizung verlässt somit das Plasma und trifft auf die Innenwand des Vakuumgefäßes. Hier wird er normalerweise diffus reflektiert, sodass die entstehende Streustrahlung das Vakuumgefäß füllen kann. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des Instituts für Plasmaforschung der Universität Stuttgart wurde deshalb an der Innenwand des Vakuumgefäßes von ASDEX Upgrade ein spezieller Reflektor angebracht. Er reflektiert die nicht absorbierte Millimeterwellenstrahlung gerade so, dass sie das Plasma ein zweites Mal durchläuft. Abbildung 2 verdeutlicht den Strahlengang. Dabei kommt eine holografische Struktur als Reflektor zum Einsatz, die dafür sorgt, dass die Phase des reflektierten Strahls wieder genau der O-Mode entspricht (Abb. 3).

Auch diese Methode der Elektronenheizung bei hoher Plasmadichte konnte in ASDEX Upgrade erfolgreich demonstriert werden. Dazu bediente man sich einer Lock-In-Technik, bei der die dem Plasma zugeführte Heizleistung zeitlich moduliert und die Erhöhung der Elektronentemperatur durch Fourieranalyse mit der Heizquelle korreliert wird. Abbildung 4 zeigt, aufgetragen über den Plasmaradius, die Fourieramplitude der Modulation der Elektronentemperatur für einen Fall, bei dem die Millimeterwellen am holografischen Reflektor reflektiert wurden (blau) sowie im Fall der diffusen Reflexion an der Wand (rot). Resultierend ergibt sich mithilfe des speziellen Reflektors ein spitzeres Heizprofil: Es wird vergleichsweise mehr Leistung im Plasmazentrum absorbiert, was die phasenrichtige Reflexion belegt.

Auf diese Weise ist es gelungen, den Betriebsbereich der Elektronzyklotron-Resonanzheizung an ASDEX Upgrade zu höheren Plasmadichten auszuweiten. Damit werden Experimente in einem bisher unzugänglichen Parameterbereich möglich. Die entwickelten Verfahren sind aber nicht nur für ASDEX Upgrade von Bedeutung: Für den 2014 im IPP-Teilinstitut in Greifswald in Betrieb gehenden Stellarator Wendelstein 7-X werden noch höhere Plasmadichten als an ASDEX Upgrade erwartet. Deshalb sollen auch dort die in Garching entwickelten Verfahren zum Einsatz kommen, um eine effiziente Heizung der Elektronen im Stellaratorplasma zu gewährleisten.

 

In Zusammenarbeit mit:

Hendrik Höhnle, Universität Stuttgart, Institut für Plasmaforschung

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