Scharf hingeschaut: Datenanalyse mit herausragender Genauigkeit

Kostensparendes Verfahren / Vielfach nutzbar / Publikation in neuartigem elektronischen Journal

15. Juni 1999
Eine leistungsfähige Methode, um aus den Meßdaten eines Experimentes möglichst umfangreiche und zuverlässige Informationen zu gewinnen, wurde im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München entwickelt. Die Methode ersetzt den Aufwand, der ansonsten mit ausgefeilter Meßtechnik zu betreiben wäre, per Wahrscheinlichkeitstheorie durch Datenanalyse am Computer. Sie kann damit zu erheblicher Kostenersparnis beitragen. Das Verfahren läßt sich bei der Auswertung unterschiedlichster wissenschaftlicher, technischer und industrieller Meßreihen anwenden. Getestet wurde es bei einem Problem aus der Fusionsforschung.

Das Verfahren ist immer dann einsetzbar, wenn man es mit sogenannten "inversen Problemen" zu tun hat. Während es meist einfach ist, die Wirkungen einer bekannten Ursache zu suchen - etwa die möglichen Schattenbilder eines gegebenen Körpers - ist der umgekehrte, inverse Schritt schwierig: In diesem Fall kennt man nur die Wirkungen - die Schattenbilder - und will von ihnen auf die Ursache - die Form des schattenwerfenden Körpers - zurückschließen. Wegen der unter Umständen großen Menge möglicher Lösungen ist eine solche Fragestellung zuweilen sogar unbeantwortbar. Inverse Probleme gibt es in Wissenschaft, Technik und Industrie in großer Zahl: etwa in der Medizin bei der Auswertung von Computertomographien, in der Astronomie, wenn aus Satellitendaten Bilder mit optimaler Schärfe berechnet werden sollen oder in den Materialwissenschaften bei verschiedensten Prüfverfahren.

Bisher wurde die große Bandbreite dieser Probleme mit einer entsprechenden Vielzahl spezieller Methoden bearbeitet. Häufig beruhen sie auf praktischen Erfahrungen und dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Eine universell einsetzbare Methode, die unter allen möglichen Lösungen die beste, d.h wahrscheinlichste Lösung herausfiltert, wurde nun im Bereich Oberflächenphysik des IPP entwickelt. Das neue "Multiresolution-Verfahren" nutzt die Bayes'sche Wahrscheinlichkeitstheorie.

Die Problembeschreibung soll so einfach, aber auch so inhaltsreich wie möglich sein: Ähnlich wie ein Maler die kleinen Details in einem Bild mit einem feineren Pinsel malt als den Hintergrund, sorgt das neue Verfahren für eine bessere Auflösung in den Bereichen, in denen die Meßdaten mehr Information enthalten. Zudem kann man auf mathematisch exakte Weise Zusatzinformationen in die Auswertung einfließen lassen und damit unsinnige, mathematisch aber zulässige Ergebnisse von vorneherein ausschließen. Es lassen sich so viele Schwierigkeiten umgehen, die sonst die Lösung von inversen Problemen unmöglich machen. Die verbesserte Auswertung ermöglicht es in vielen Fällen, experimentell gesetzte Auflösungsgrenzen zu überwinden oder aber am apparativen Meßaufwand zu sparen, was zu einer deutlichen Kostensenkung für die Messungen führen kann.

Anwendung in der Fusionsforschung
Die Leistungsfähigkeit zeigte sich bei einem Problem aus der Kernfusionsforschung: Deren Ziel ist die Entwicklung eines Kraftwerks, das - ähnlich wie die Sonne - Energie aus der Verschmelzung von Atomkernen gewinnt. Dazu muß man den Brennstoff, ein dünnes Wasserstoffplasma, auf Temperaturen bis zu 100 Millionen Grad aufheizen und in Magnetfeldern einschließen. Einzelne Teilchen aus dem heißen Plasma können jedoch stets aus dem magnetischen Käfig entkommen und prallen dann auf die umgebenden Gefäßwände. Um die dort hervorgerufenen Veränderungen zu untersuchen, wurden in der IPP-Fusionsanlage ASDEX Upgrade an besonders belasteten Stellen Materialproben angebracht.

Vor und nach der Plasmabelastung werden die Probestücke im Bereich Oberflächenphysik des IPP untersucht. Insbesondere will man wissen, wo die Oberfläche durch den Plasmaeinfluß abgetragen und wo diese freigesetzten Teilchen wieder angelagert werden. Zur Analyse wird die Probe mit Helium-Ionen hoher Energie beschossen. Sie können einige Mikrometer tief in die Probe eindringen, bis sie schließlich vom Probenmaterial reflektiert werden. Da die Heliumteilchen je nach Eindringtiefe und Masse ihres Stoßpartners unterschiedlich viel Energie verlieren, erhält man aus der Energie der zurückgeworfenen Teilchen dann Aufschlüsse über die Probenzusammensetzung. Die Bestimmung der Tiefenverteilung aus den Meßsignalen ist nun ein typisches inverses Problem, dessen Lösung bislang mühsam und nicht immer verläßlich war. Mit dem Multiresolution-Verfahren - zusammen mit der mathematischen Beschreibung der Meß-Vorgänge - wurde es nun computergestützt gelöst. Ergebnis ist das gesuchte Konzentrationsprofil zusammen mit genauen Informationen über seine Zuverlässigkeit. Im vorliegenden Fall stellte sich heraus, daß an der untersuchten Stelle zwar Erosion auftritt, in stärkerem Maße jedoch abgetragenes Material von anderen Regionen des Plasmagefäßes angelagert wird. Insgesamt führt das zu einem Schichtaufbau, der ähnlich unerwünscht ist wie eine Schädigung der Wand, aber mit anderen Mitteln verhindert werden muß.

Neuartige Publikationsmethode
Nicht nur die Methode, auch das Verfahren zur Veröffentlichung war innovativ: Publiziert wurde die Arbeit nämlich in einer neuen, rein elektronischen Fachzeitschrift, dem New Journal of Physics. Hier erschien die Arbeit kürzlich als elfter Beitrag (New Journal of Physics 1 (1999) 11). Die Zeitschrift wurde Ende 1998 gemeinsam von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und dem britischen Institute of Physics gegründet. Das neue Journal will die hohen Kosten für gedruckte Fachzeitschriften vermeiden und herausragende Forschungsartikel aus dem gesamten Gebiet der Physik über das World Wide Web kostenfrei überall und jederzeit zugänglich machen.

Isabella Milch

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