ITER-Zwischenbericht genehmigt

Halbzeit für die Planung des europäisch-amerikanisch-japanisch-russischen Testreaktors

14. Dezember 1995
Der ITER-Rat - das Aufsichtsgremium des ITER-Projektes, dem Regierungsvertreter aller vier ITER-Partner angehören - hat in seiner Sitzung am 12. und 13. Dezember in Garching den Mitte des Jahres vorgelegten Zwischenbericht über die bisherigen Planungsergebnisse gebilligt. Er ist damit von allen Beteiligten als Grundlage der weiteren Arbeiten bis 1998 anerkannt.

Der Testreaktor ITER (Internationaler Thermonuklearer Experimentalreaktor) wird von den vier großen Fusionsprogrammen der Welt - Europas, Japans, der russischen Föderation und der Vereinigten Staaten von Amerika - gemeinsam vorbereitet. Aufgabe von ITER ist es, die Energieerzeugung der Sonne auf der Erde nachzuvollziehen und aus der Verschmelzung von Atomkernen Energie zu gewinnen.

Brennstoff der Fusion ist ein dünnes ionisiertes Gas aus den beiden Wasserstoffsorten Deuterium und Tritium. Zum Zünden des Fusionsfeuers muß dieses sogenannte "Plasma" in Magnetfeldern eingeschlossen und auf Temperaturen über 100 Millionen Grad aufgeheizt werden. Aufgabe von ITER ist es, zum ersten Mal ein gezündetes und für längere Zeit energielieferndes Plasma zu erzeugen. Außerdem sollen wesentliche technische Funktionen eines Fusionskraftwerks getestet werden. Hierzu gehören supraleitende Magnetspulen, die Tritium-Technologie, das Abführen der erzeugten Wärmeenergie sowie die Entwicklung fernbedient auswechselbarer Komponenten. Hinzu kommt die Erforschung der Sicherheits- und Umweltfragen der Fusion.

Der Zwischenbericht
Der Zwischenbericht faßt den Entwurf aller Systeme des Testreaktors und ihren gegenwärtigen Planungsstatus zusammen: ITER ist als Divertor-Tokamak geplant, die weltweit am genauesten untersuchte Experimentieranordnung. In der etwa 30 Meter hohen Anlage sollen 20 supraleitende Hauptfeldspulen und 8 Zusatzspulen zusammen mit einem Plasmastrom von 21 Megaampere den Magnetfeldkäfig erzeugen. Er schließt einen Plasmaring von 8 Metern Radius und einem Volumen von 2000 Kubikmetern ein. Mit 100 Megawatt Startheizung zum Zünden der Fusionsreaktionen soll dieses Plasma eine Fusionsleistung von 1500 Megawatt über Pulsdauern von mindestens 1000 Sekunden erzeugen. Die Wandbelastung durch Neutronen wird dann ca. 1 Megawatt pro Quadratmeter Wandfläche betragen. Die Baukosten werden - größtenteils abgestützt durch Industrieangaben - vorläufig auf 5850 Millionen US-Dollar geschätzt (Preisstand 1989), verteilt auf 10 Jahre Bauzeit. Die gegenwärtige Unsicherheit der Abschätzung von plus/minus etwa einem Siebtel soll sich mit fortschreitender Planung verringern. Entsprechend dem Zeitplan soll ITER gegen Ende des Jahres 2008 das erste Plasma erzeugen, vorausgesetzt der Bau kann unmittelbar nach dem Ende der Planungsphase beginnen.

Der Zwischenbericht wurde den ITER-Partnern Mitte des Jahres vorgelegt und anschließend in den nationalen Beratungsgremien der Partner diskutiert und kommentiert. Nach gründlicher Prüfung in den physikalisch-technischen Fachgremien hat der Ministerrat der Europäischen Union dem Zwischenbericht Ende Oktober zugestimmt. Mit der jetzt erfolgten Genehmigung des ITER-Rates, dem Regierungsvertreter aller vier ITER-Partner angehören, ist der Zwischenbericht nun von allen Beteiligten als Grundlage der weiteren Planungsarbeiten bis Ende 1998 anerkannt. Der ITER-Rat bestätigte ITER als notwendige Voraussetzung für den Fortschritt der weltweiten Fusionsforschung und empfahl, die Vorteile der weitgespannten internationalen Zusammenarbeit weiterhin zu nutzen.

Bis 1998 will man die technischen Unterlagen vervollständigen und - gegen Ende der Planung - einen möglichen Standort festlegen. An dieser Gastgeberrolle für ITER zeigten auf der Sitzung des ITER-Rates Vertreter der Europäischen Union und Japans Interesse; ähnliche Überlegungen der kanadischen Regierung kamen zur Sprache. Nach Ende der Planungsarbeiten soll entschieden werden, ob die vier Partner den Experimentalreaktor auch gemeinsam bauen und betreiben wollen oder ob sie die Planungen in den jeweils eigenen Fusionsprogrammen nutzen werden.

Hintergrund
Das ITER-Projekt wurde 1985 in Gesprächen des sowjetischen Generalsekretärs Gorbatschow mit den Präsidenten Frankreichs und der USA, Mitterand und Reagan, eingeleitet. Im Frühjahr 1988 begannen am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching als Gastlabor die Planungsarbeiten. Im Dezember 1990 legte die internationale ITER-Studiengruppe den Entwurf des Testreaktors vor. Mit der im Juli 1992 begonnenen, etwa sechs-jährigen detaillierten Planungs- und Konstruktionsphase arbeitet ein gemeinsames, international besetztes Team an drei Fusionszentren: in La Jolla bei San Diego/USA, im japanischen Naka und wiederum am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching. Jedes dieser Zentren ist für besondere Schwerpunkte verantwortlich: Garching für das Plasmagefäß und die darin befindlichen Komponenten (Abschirmung und Blanket, Erste Wand und Divertor), Naka für die Komponenten außerhalb des Plasmagefäßes (supraleitende Magnete, Stromversorgung, Tritiumanlage und Fernbedienungstechnik) sowie San Diego für Systemintegration, Sicherheitsuntersuchungen und Bauplanung. Hier befindet sich auch das Büro des Direktors, Dr. Robert Aymar.

Unterstützt wird das zentrale ITER-Team durch Gruppen in den Heimatlaboratorien der vier Partner, die Entwurfsarbeiten sowie die nötige Forschung und Entwicklung für ITER übernehmen. In Garching sitzt zum Beispiel die Leitung des europäischen ITER-Home Teams, das die ITER-Zuarbeiten aller europäischen Fusionslaboratorien koordiniert. Abgesehen von seiner Gastgeberrolle liefert das IPP in dieser weltweiten Zusammenarbeit vor allem mit dem Experiment ASDEX Upgrade wesentliche Beiträge.

Isabella Milch

Zur Redakteursansicht