Von der Plasmatheorie zum Experiment

Das Fusionsexperiment Wendelstein 7-AS wird aufgebaut

10. Dezember 1987

Gegenwärtig wird ein neues Fusionsexperiment – Wendelstein 7-AS – im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München aufgebaut. Wendelstein ist ein Fusionsexperiment vom Typ Stellarator, das sowohl physikalisch als auch technisch Neuland erkunden soll. Von bisherigen Stellaratoren unterscheidet es sich durch ein verbessertes Magnetfeld, das außerdem durch ein neuartiges modulares Magnetspulensystem hergestellt wird.

„Fortgeschrittene“ Stellaratoren
Falls sich die Neuerungen an Wendelstein 7-AS bewähren, soll in einer darauffolgenden größeren Anlage schließlich ihre Reaktortauglichkeit bewiesen werden: Ein zukünftiger Fusionsreaktor soll Energie aus der Verschmelzung von Atomkernen gewinnen. Zum Zünden des Fusionsfeuers wird der Brennstoff – ein dünnes ionisiertes Gas („Plasma“) aus den beiden Wasserstoffisotopen Deuterium und Tritium – auf hohe Temperaturen aufgeheizt. Bei ausreichender Wärmeisolation beginnt das Plasma oberhalb von 100 Millionen Grad zu brennen, d.h. die Wasserstoffkerne verschmelzen miteinander zu Helium, wobei nutzbare Energie freigesetzt wird.

Wegen seiner hohen Temperatur kann das Fusionsplasma nicht direkt in materiellen Gefäßen eingeschlossen werden, die beschädigt würden und das Plasma abkühlen könnten. Stattdessen benutzt man Magnetfelder, um die geladenen Teilchen im Innern eines ringförmigen Vakuumgefäßes in Schwebe zu halten. Bei Fusionsexperimenten vom Typ Stellarator wird dieser Magnetfeldkäfig durch äußere Magnetspulen hergestellt, die um das Plasmagefäß herum angeordnet sind. In dem Vorgänger des jetzt aufgebauten Stellarators waren dies ebene Kreisspulen zusammen mit spiralförmig auf das Plasmagefäß aufgewickelten Stromleitern. Diese Wicklungen erlaubten es dem Experimentalphysiker, das Magnetfeld über weite Grenzen zu variieren. Für die technische Reaktortauglichkeit der Stellaratoren hat man sie bislang jedoch als Haupthindernis angesehen, weil sie in großen Maschinen mit starken Magnetkräften auf das Plasmagefäß drücken und außerdem Wartung und Reparatur der Maschine stark erschweren.

Zu fordern sind stattdessen voneinander unabhängige Einzelspulen, die leicht ein- und auszubauen sind. Wendelstein 7-AS wird deshalb das Magnetfeld zum Einschluß des Plasmas durch einen einzigen Satz von 45 Einzelspulen erzeugen. Weil sie alleine ein ähnliches Feld erzeugen sollen, wie die beiden Spulensysteme des Vorgängers zusammen, besitzen die neuen Spulen eine nichtebene, geometrisch anspruchsvolle Gestalt. Zugleich erzeugen sie einen verbesserten, d.h. dichteren Magnetfeldkäfig: Mit den großen Fortschritten der Stellarator-Theorie am IPP in den letzten Jahren wurde es nämlich möglich, Felder zu berechnen, die das Plasma besonders stabil und wärmeisolierend einschließen sollten. Diese „optimierten“ Stellaratorfelder berücksichtigen die Wirkung der Plasmateilchen auf das Magnetfeld, die den Magnetkäfig deformieren und auf die Wand hin ausbeulen können. Dieses unerwünschte Verhalten wird in den optimierten Feldern durch geschickte Führung der Feldlinien weitgehend vermieden. Ermöglicht wurden diese Rechnungen durch gute theoretische Beschreibungen des Plasmaverhaltens in Stellaratoren sowie durch hochleistungsfähige Computer, wie sie erst seit einiger Zeit verfügbar sind.

Wendelstein 7-AS wird also erstmals physikalisch optimierte Stellaratorfelder mit Hilfe der technisch vorteilhaften modularen Spulen erzeugen. Um möglichst kostengünstig zu bleiben, wurde das neue Experiment als Ausbaustufe des Vorgängers geplant. Deshalb konnten wesentliche Bauteile übernommen werden, neu anzufertigen waren hingegen die modularen Spulen, ihre Abstützung sowie das dem neuen Spulenquerschnitt angepaßte Plasmagefäß. Mit einer Planungs- und Bauzeit von 6 Jahren werden sich die Kosten des neuen Experiments auf ca. 30 Millionen DM belaufen, die zusammen mit der europäischen Forschungsbehörde EURATOM getragen werden. Wenn sich das Optimierungsprinzip in diesem kleinen Maßstab bewährt, soll in einem größeren Experiment die Reaktortauglichkeit der „fortgeschrittenen Stellaratoren“ gezeigt werden, die damit als attraktive Variante neben die bislang weltweit favorisierten Fusionsexperimente vom Typ Tokamak träten.

Das Experiment entsteht
Kernstück der Anlage sind die neuartigen, bizarr geformten Magnetspulen, in denen sich die Gleichungssysteme der Plasmatheoretiker materialisiert haben. Zu Beginn der Planung mußte zunächst geklärt werden, ob und wie der Bau solcher großen nichtebenen Spulen möglich ist. Nach ersten positiven Abschätzungen am IPP wurden geeignete Fertigungsmethoden in einer Machbarkeitsstudie der Industrie untersucht: Die Magnetspulen sind nämlich hohen Dehnungs-, Schub- und Biegebeanspruchungen unterworfen, sobald der Spulenstrom eingeschaltet wird. Jede Spule muß sowohl die Magnetkräfte ihrer Nachbarspulen verkraften können, als auch ihre eigenen, weshalb von der fertigen Spule hohe mechanische Festigkeit zu fordern ist. Wollte man jedoch bei der Herstellung die Spulen – wie üblich – aus steifen und dicken Kupferleitern aufwickeln, so würde man – wegen der engen Windungen – große mechanische Spannungen „miteinwickeln“, die die Spulen verformen würden. Passendere Materialien und Herstellungsverfahren mußten daher gefunden werden. Als der richtige Weg erwies sich schließlich flexible, leicht verformbare Kupferlitze, die zusammen mit Glasfasergewebe und dünnen Kupferrohren zur Wasserkühlung in eine Hohlform eingelegt, mit Epoxydharz getränkt und anschließend durch Ausbacken verfestigt wurde. Das zähe Kupfer-Glasfaser-Harzgemisch bestand alle Materialtests und gibt der Spule problemlos die verlangte hohe mechanische Festigkeit.

Auch die Herstellung der nötigen Wickelformen war nicht konventionell: Wegen der asymmetrisch-verwundenen Gestalt der Spulen war es einfacher, sich den Umweg über technische Zeichnungen zu ersparen und statt dessen Spulenmodelle direkt in einer Kunststoff-„Urform“ zu realisieren. Sehr günstig wirkte sich hierbei aus, daß die Außenflächen der Spulen mit rechnergestützten Konstruktionsverfahren in eine Ebene abwickelbar waren. Die vier Außenflächen der Spule konnten deshalb von einer numerisch gesteuerten Laser-Schneidemaschine, die direkt mit den Daten des IPP­Computers gefüttert wurde, aus Kunststoffplatten ausgeschnitten werden. Nach paßgenauem Zusammenfügen dieser Außenkonturen konnten die Garchinger Ingenieure „ihre“ Spulen, die sie bislang nur als 3-D-Skizze der Rechenanlage kannten, zum ersten Mal räumlich und in Originalgröße sehen. Nach der so entstandenen Urform wurde über eine Holzform eine Hohlform aus Stahlguß angefertigt, in die dann das Spulenmaterial eingewickelt wurde. Alle Fertigungsstufen konnten mit der geforderten hohen Formgenauigkeit durchlaufen werden, die nötig ist, um später im Experiment das berechnete Magnetfeld zu erhalten: Die Außenkonturen der fertigen, ca. 1 Meter großen Spulen wichen maximal nur 3 Millimeter von den ursprünglichen Computerdaten ab.

Beim Zusammenbau werden die 45 Spulen in ein ringförmiges Korsett aus 20 mm dickem, unmagnetischem Stahlblech eingebaut und gegeneinander mit Stahlkeilen abgestützt. Die beim Einschalten des Magnetfeldes auftretenden großen Kräfte – bis zu 150 Tonnen – werden hier aufgefangen. Auch diese Stützstruktur ist modular und konnte daher bei der Montage stückweise zusammengefügt werden. Vorbereitet wurde die Konstruktion durch umfangreiche Spannungsberechnungen, die klären sollten, wie die nötige Stabilität zu vereinbaren ist mit möglichst vielen Öffnungen in der Stützwand. Schließlich wurden 125 Löcher erreicht, die bei den späteren Experimenten den zahlreichen Meßgeräten, Pumpen und Heizungsapparaturen den Zugang zum Plasma ermöglichen.

Entsprechend viele Öffnungen besitzt auch das Vakuumgefäß, das innerhalb des Spulenrings liegt. Da es so nahe wie möglich an die Magnetspulen heranrücken soll, um maximalen Raum für den Plasmaring zu schaffen, folgt es der unregelmäßigen Innenkontur des Spulenrings. Das Gefäß ist jedoch trotz seines variierenden Querschnittes so konstruiert, daß seine einzelnen Segmente aus ebenen Blechen gebogen werden konnten. So kann die Verarbeitungstechnik für normale Rohre übernommen werden und das Vakuumgefäß samt seiner 125 Stutzen und Flansche ultrahochvakuumdicht verschweißt und verschraubt werden.

Der Zusammenbau des Experiments wird im Frühjahr 1988 beendet sein. Nach verschiedensten Abnahmetests wird dann zunächst das Magnetfeld eingeschaltet und nachgemessen. Anschließend geht die fertige Maschine aus der Obhut der Ingenieure in die Hand der schon erwartungsvoll gespannten Physiker über.

Isabella Milch

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