IPP-Zusammenarbeit mit Rußland hat Erfolg

Russisches Meßgerät mißt Millionen Grad in Fusionsexperiment Wendelstein 7-AS.

1. Februar 1995
Ein neuartiges Meßgerät zur Bestimmung der extremen Plasmatemperaturen in Fusionsexperimenten hat das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München zusammen mit dem russischen Institut für Angewandte Physik in Nishny Novgorod und Wissenschaftlern der Universität Stuttgart entwickelt. Finanziert wurde das Projekt durch ein deutsches Hilfsprogramm für die Wissenschaft in den GUS-Republiken.

Um in einem künftigen Fusionskraftwerk den energieliefernden Prozeß der Kernverschmelzung zu zünden, muß der Brennstoff - ein dünnes Wasserstoff-Plasma, d.h. ein ionisiertes Gas, in dem sich Elektronen und Kerne (Ionen) voneinander getrennt haben - in einem Magnetfeldkäfig eingeschlossen und auf hohe Temperaturen aufgeheizt werden. Oberhalb einer Temperatur von 100 Millionen Grad beginnt das Plasma zu "brennen": Die Wasserstoffkerne verschmelzen miteinander zu Helium, wobei nutzbare Energie freigesetzt wird.

Da zur Messung der hohen Plasmatemperaturen normale "Thermometer" ungeeignet sind, wurden spezielle Verfahren entwickelt, um die Temperatur der Elektronen sowie der Wasserstoffkerne, d.h. der Ionen, zu messen. Letzteres funktioniert mit bisherigen Meßgeräten zuverlässig aber nur in kleinen bis mittelgroßen Fusionsanlagen. Bei zukünftigen Plasmen in Kraftwerksgröße versagt die heutige Meßtechnik zur Bestimmung der Ionentemperatur.

Neuartiges Verfahren
Hier kann ein neues Meßverfahren helfen, das in den vergangenen drei Jahren in deutsch-russischer Zusammenarbeit von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München, des russischen Instituts für Angewandte Physik (IAP) in Nishny Novgorod und des Instituts für Plasmaforschung der Universität Stuttgart mit Hilfe eines russischen Höchstleistungssenders entwickelt wurde: die Streuung elektromagnetischer Wellen an den Plasmateilchen. Strahlt man eine Welle in das Plasma ein, so wird ein kleiner Teil der Welle von den Plasmaelektronen abgelenkt, d.h. "gestreut". Weil die Elektronen über elektrische Kräfte an die Kerne bzw. Ionen gekoppelt sind, spiegeln sie mit ihrem Streuverhalten aber eigentlich den Zustand der Kerne wider - sogenannte "kollektive Streuung". Voraussetzung ist die "richtige" Wellenlänge der eingestrahlten Welle. Aus dem Bruchteil der vom Plasma gestreuten Wellenleistung kann man dann auf die Dichte der Wasserstoff-Ionen schließen, aus der Veränderung der Frequenz des gestreuten Lichtes (Dopplereffekt) kann man die Temperatur bestimmen.

Diskutiert wurde dieses Meßverfahren schon seit den 60er Jahren; für die experimentelle Anwendung fehlten aber stets die geeigneten Hilfsmittel. So hatten erste Versuche mit Lasern als Strahlungsquelle an der Universität Stuttgart sowie an der Ecole Polytechnique in Lausanne gezeigt, daß ein solches Verfahren im Prinzip funktioniert, Laserstrahlung für zuverlässige Messungen an Fusionsplasmen jedoch zu schwach ist. Nur winzigste Bruchteile der eingestrahlten Welle - ein Millionstel eines Milliardstel Teiles - werden nämlich gestreut. Voraussetzung ist deshalb eine leistungsstarke Quelle für die elektromagnetischen Wellen, die außerdem im passenden Wellenlängenbereich liegen müssen.

Der russische Beitrag
Die Tatsache, daß im IPP eine geeignete Strahlungsquelle zur Verfügung stand, nämlich ein starker Mikrowellen-Sender von 500 Kilowatt Leistung, war vor drei Jahren Auslöser für das deutsch-russische Meßprojekt. Der von dem russischen Institut für Angewandte Physik (IAP) in Nishny Novgorod entwickelte Sender wird im IPP zum Aufheizen des Plasmas im Fusionsexperiment Wendelstein 7-AS benutzt: Ähnlich wie in einem Mikrowellengrill können die elektromagnetischen Felder der Welle Energie an die Plasmateilchen übertragen. Leistungsstarke Sender dieser Art sind erst seit kurzer Zeit verfügbar.

Da die Wellenlänge der Mikrowellen - 2 Millimeter - "paßt", lag es nahe, die erfolgreiche Zusammenarbeit auszuweiten und den vorhandenen Sender nicht nur zum Heizen sondern auch zum Ausmessen des Plasmas zu benutzen. Dies verlangte dann die Entwicklung eines hochempfindlichen Mikrowellen-Empfängers zum Nachweis der schwachen Streustrahlung. Er erfüllt die anspruchsvolle Aufgabe, den gestreuten, 10 hoch -15ten Teil der eingestrahlten Welle aus dem brillianten Primärlicht herauszufiltern und präzise nachzuweisen.

Zusammen mit dem gesuchten Streusignal kommen von den eingestrahlten 500 Kilowatt Mikrowellenleistung nach der Verteilung im Plasma immer noch etwa zehn Milliwatt am Empfänger des Meßgerätes an - viel zu viel verglichen mit dem zehn Millionen mal schwächeren Streusignal. Deshalb war es eines der Hauptprobleme, einen geeigneten Filter zu finden, der das empfindliche Gerät vor dem grellen Falschlicht schützt. Dazu wurden parallel im IAP und in Garching sogenannte Notch-Filter berechnet und gebaut, die das Störlicht weitgehend - bis um 60 Dezibel - unterdrücken. Das in der Frequenz leicht verschobenene Streulicht lassen die Filter aber ungehindert hindurch. Mehrere Versuche und extreme mechanische Präzision waren nötig, bis man Erfolg mit den heiklen Bauteilen hatte.

Hinter den Filtern ist das Störsignal des Primärlichts nur noch etwa hundertmal größer als das gesuchte Streusignal. Dies spürt ein nachgeschalteter Empfänger auf, der im IAP mit trickreicher Elektronik entwickelt und anschließend von den russischen Wissenschaftlern an Wendelstein 7-AS angebaut wurde. Die optischen Bauteile im Plasmagefäß - Umlenkspiegel und Empfangsantenne für die Mikrowellen sowie Übertragungsleitungen - und ihre geometrisch richtige Anordnung wurden von Wissenschaftlern der Universität Stuttgart berechnet und gebaut. Nach wiederholten Verbesserungen sämtlicher Bauteile hatten die gemeinsamen Anstrengungen schließlich Erfolg: Ende 1994 ist es erstmals gelungen, mit der Apparatur die Ionentemperatur des Plasmas zu messen.

Finanzierung
In den gegenwärtigen Zeiten knapper Finanzen war die Zusammenarbeit mit den russischen Partnern nur durch eine Sonderfinanzierung möglich. Rund 360.000 DM wurden in den vergangenen drei Jahren für das IAP durch ein Hilfsprogramm für die Wissenschaft in den GUS-Republiken zur Verfügung gestellt, das das Bundesministerium für Forschung und Technologie ins Leben gerufen hatte. Wegen des niedrigen Rubelkurses liegen die Gehälter der GUS-Wissenschaftler gegenwärtig bei umgerechnet wenigen tausend Mark pro Jahr. So konnte durch die bereitgestellten Mittel das vergleichsweise aufwendige Entwicklungsprogramm im IAP finanziert und damit zum Weiterbestehen dieses wissenschaftlich hervorragenden Instituts beigetragen werden.

Im Juni 1995 wird die jetzige Finanzierung - nach bereits einjähriger Verlängerung - endgültig auslaufen. Es ist jedoch geplant, die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen IAP, Universität Stuttgart und Max-Planck-Institut für Plasmaphysik im Rahmen des deutsch-russischen WTZ-Abkommens über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit fortzusetzen. Dabei hat man sich als nächstes den Test des Meßgerätes unter verschiedensten Plasmabedingungen vorgenommen. Außerdem soll die Apparatur so umgebaut werden, daß die Temperaturmessung, die bisher auf gemittelte Werte beschränkt ist, ortsaufgelöste Daten liefert.

Isabella Milch

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