Begutachtung des Europäischen Fusionsprogramms beendet

Ausführlicher Abschlußbericht erschienen / Testreaktor ITER als erste Priorität empfohlen

25. März 1997
Der Abschlußbericht zur Begutachtung des Europäischen Programms zur Fusionsforschung ist kürzlich erschienen. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft hatte dazu 1996 eine unabhängige Gutachterkommission eingesetzt. Das "Fusion Evaluation Board", ein achtköpfiges Gremium mit Vertretern von Wissenschaft und Wirtschaft unter der Leitung von Prof. Sergio Barabaschi (Italien), nahm im Juni 1996 die Arbeit auf.

Seine Aufgabe: Begutachtung der in den vergangenen fünf Jahren ausgeführten Arbeiten sowie Empfehlungen für die weitere Entwicklung des Fusionsprogramms, insbesondere zur Beteiligung an dem geplanten Experimentalreaktor ITER. Die Ergebnisse sollen in die Konzeption des Fünften EU-Rahmenprogramms für Forschung und Entwicklung (1999-2003) einfließen.

Zusammenfassung der Empfehlungen:

  • Die Gutachter werten die Fusion als eine der wenigen Energiequellen, die einen größeren Beitrag zur Energieversorgung der Zukunft leisten könnten: "Angesichts der Sicherheitseigenschaften und potentiellen Umweltvorteile der Fusion sowie der leichten Zugänglichkeit des Brennstoffs ist es für Europa wichtig, diese Option offenzuhalten". Die thematische Breite und der Zeitrahmen der Fusionsforschung rechtfertigten das direkte Engagement der EU und die Zusammenfassung der Einzelarbeiten in einem gemeinsamen Europäischen Programm.
  • Die Fusionsforschung habe inzwischen ein Stadium erreicht, in dem es wissenschaftlich und technisch möglich sei, mit dem Bau eines ersten Experimentalreaktors in internationaler Zusammenarbeit zu beginnen: "Dies ist der einzige realistische Weg nach vorne. Der Baubeginn von ITER wird daher als erste Priorität des Europäischen Fusionsprogramms im kommenden Fünften Rahmenprogramm empfohlen".
  • "ITER sollte in Europa gebaut werden. Dies würde die weltweit führende Position Europas in der Fusionsforschung erhalten und wäre von großem Vorteil für die europäische Industrie und die Forschung". Die zusätzlichen Aufwendungen der EU im Fünften Rahmenprogramm wären auf insgesamt rund 200 Millionen ECU begrenzt. Im nächsten Jahrzehnt müsse die gegenwärtige EU-Fusionsförderung von jährlich ca. 225 Mio ECU um rund 50 Prozent aufgestockt werden. Zugleich bedeute dies das Auslaufen der Fusionsanlage JET sowie eine Umordnung der EU-Förderung der nationalen Laboratorien. Von dem zukünftigen Gastgeber für ITER müsse ein nennenswerter Finanzbeitrag erwartet werden.
  • "Sollte es sich herausstellen, daß ITER nicht in Europa gebaut werden kann, wird dringend empfohlen, eine starke Beteiligung an ITER als erste Priorität des Europäischen Fusionsprogramms beizubehalten". Europa müsse auf jeden Fall die Fähigkeit erwerben, später unabhängig zu einem kommerziellen Prototypkraftwerk fortzuschreiten.
  • Sobald eine endgültige Entscheidung über den Bau von ITER getroffen sei, solle das JET-Programm neu bewertet und auf Schlüsselfragen für ITER konzentriert werden. Auch die Arbeiten der nationalen Laboratorien sollten auf ITER ausgerichtet werden bzw. zur Datenbasis für das anschließend geplante Demonstrationskraftwerk DEMO beitragen. Die Materialforschung im Dienste der Fusion müsse verstärkt werden. Das Board unterstützte im Interesse einer möglichst breiten Basis für DEMO die Entwicklung der Stellarator-Linie.
  • Die Gutachter stellen fest, daß sich die Beziehungen zwischen dem Europäischen Fusionsprogramm und der Industrie in den vergangenen Jahren deutlich verstärkt haben, hauptsächlich im Zusammenhang mit ITER. "Da der Industrie eine wichtige Rolle bei der endgültigen Entwicklung der Fusion zukommen wird, wird empfohlen, die Einbeziehung der Industrie zu steigern".
  • "Der Ausschuß war positiv beeindruckt von den Untersuchungen zu Sicherheit und Umweltaspekten der Fusion und befürwortet weitere Anstrengungen". Zusätzlich gefordert wurde die multi-disziplinäre Erforschung der sozio-ökonomischen Aspekte der Fusion.

Das Europäische Fusionsprogramm
Ziel der Fusionsforschung ist es, ein Kraftwerk zu entwickeln, das - ähnlich wie die Sonne - Energie aus der Verschmelzung von Atomkernen erzeugt. Die Fusionsforscher der EU sowie der Schweiz haben sich in dem Europäischen Fusionsprogramm zusammengeschlossen. Neben thematisch spezialisierten Experimenten in den nationalen Fusionslaboratorien betreiben sie ein gemeinsames Großexperiment, den Joint European Torus (JET) in Culham/Großbritannien. 1991 konnte JET zum ersten Mal in der Geschichte der Fusionsforschung für zwei Sekunden Fusionsleistungen im Megawattbereich freisetzen.

Wie schnell die Fusionsforschung ihr Ziel erreichen wird, hängt nicht zuletzt von den politischen Rahmenentscheidungen ab. Gegenwärtig laufen die Planungen für einen ersten Testreaktor. Der Internationale Thermonukleare Experimentalreaktor ITER soll ein sich selbst erhaltendes Fusionsfeuer erzeugen und thermische Leistungen in der Größenordnung konventioneller Kraftwerke freisetzen. ITER wird in weltweiter Zusammenarbeit von Fusionsforschern der vier Partner Europa, USA, Japan und Rußland geplant. Interesse an der Gastgeberrolle für den Bau von ITER haben in Europa Italien sowie Kanada und Japan geäußert.

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